■ Zur Einkehr: Im Ambiente
Die Skulptur vibriert im innigen Aneinanderreiben komplementärer Farben. Widerstrebende Kraftlinien fügen sich perfekt ins umrahmende Oval. Die Skulptur heißt „Italienisches Frühstück“. Fünf subtil differierende Rottöne wagen die Konfrontation mit zwei verschiedenen Varianten von Grün. Ihre Trägerstoffe? Rubinrote Salamischeiben, mit eiserner Regelmäßigkeit aneinander sich reihend; kunstvoll verdrehte Orangenräder, auf welligem Salatmeer wie muntere Schiffchen gondelnd; dünne Fäden Roter Beete in pompejanischem Rot, sich wie Lametta über den Weihnachtsbaum zart über die Orangen ergießend. Und über allem schwebt in magischer Transparenz eine Schinkenscheibe aus dem sonnigen Parma.
Kennst Du das Land, wo die Goldorangen blühn... Goethe über Italien. Im Wilhelm Meister. Poesie und Stringenz. Aufwühlend. Verstörend. Kunst. Keine Frage. Und wo Kunst ist, kann Geld nicht fehlen. Kohle? – „Ach was, die ist doch nicht so wichtig, übrigens, neulich bei Gucci, im Rom-Hilton...“Wenn dieser Satz von Ihnen stammen könnte, dann wären Sie im „Ambiente“gold-richtig. Von dessen Betreibern könnte der Satz allerdings nicht stammen. Die stehen zwar auf Noblesse, ein Keramiktöpfchen für die Butter, Schälchen für die Marmelade, putzig wie aus einem Teenie-Setzkasten. Dahinter aber lauert Habsucht. Das Italienische Frühstück ist nicht mit italienischer Salami bestückt, sondern mit etwas, das verdächtig an die Du-darfst-40-%-weniger-Fett-Sparsalami erinnert. Der Kunde erhält also statt 30g von einer 3,29/100g-Wurst 30g von einer 1,79/100g-Wurst, macht – Dreisatz, Algorithmus, Hyperbel – einen Einspareffekt von 42,75 Pfennigen. Und wie erst frustriert die vereinsamte Schinkenscheibe vom Gewicht eines Regenwurmbabys den Reißwolfhunger einer taz-RedakteurIn? Deshalb zwei Tips: 1. Zu Hause schon vorarbeiten und eine erste Sättigungsgrundlage bilden. Warum nicht mit einer kleinen Heringssemmel. 2. Einen Mantel mit weitgeschnittener Innentasche tragen zur unkomplizierten Aneignung eines mattsilbernen Aschenbechers. Das von falschen Salamis erschütterte Vertrauen in die Menschheit könnte durch eigene Bosheit wieder ein bißchen beruhigt werden, oder: Sei gemein zu einer gemeinen Welt. Die Gäste des Ambientes tarnen übrigens ihren Besitzstand und ihre spleenig-designverliebte Eßkultur durch sympathische Unauffälligkeit. Gemischtes Alter, dezente Kleidung, ausgelassenes Kichern. Einer las sogar „Titanic“. Und das im Ambiente.
Der Untergang. Und der ist eigentlich wie immer ganz nett. bk
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