Wassersuppe, gewürzlos

■ Das Bremerhavener Stadttheater kämmt „Hair“glatt trotz Zappelns und Hampelns

Avanti diletantissimo! Was ist mit dem Stadttheater Bremerhaven los? Hat der Intendant geschlafen? Und der Regisseur? Offenbar scheint es bei dem Musical, das er sich vornehmen sollte, nicht so recht darauf anzukommen, offenbar darf hier geschludert werden: Denn „Hair“von Galt MacDermot handelt doch von den langhaarigen Aufbruchs-Zeiten, den friedenstiftenden BE- und LOVE-INS im Zeichen des Wassermanns. Wo die 60er Jahre zu einer musikalische „Aquarius“hochdampfen, ließe sich „Hair“wenigstens als schrille Klamotte zurüsten. Fehlanzeige. Gast-Regisseur Thomas Dietrich, nach eigenen Worten Wagnerianer, zieht aus den verblichenen Kleidern der Blumenkinder keinerlei Charme und Witz. Die Wassersuppe bleibt ohne Pfeffer.

„Hair“mutiert zu einer hochnotpeinlichen Sonntagspredigt, in der ein alter Tippelbruder seinen jüngeren Mitbrüdern und -schwestern mitten im kalten Winter in einem trostlosen Wellblechpark, Marke Baugerüst, am Feuer aus der Tonne die Mär von den bunten Sunshine-Zeiten erzählt. Er ist ein wahrer Prediger: „Ohne uns hätte es die Grünen nicht gegeben, und die Esoteriker, und die Befreiung diskriminierter Minderheiten, und die sexuelle Revolution...“Dann stellt er sich in Schmerzensmann-Pose an den Bühnenrand und wartet zwei lange Stunden auf seinen Tod, während retrospektiv noch einmal die orangefarbenen Zeiten anbrechen.

Was Dietrich dazu einfällt, ist knallige Dummheit: Auf der Bühne wälzen sich die Darsteller, Tänzer, Sänger auf eine Weise, daß ziemlich unklar bleibt, wer was ist und wer was kann. Sie recken permanent die Arme und wackeln ab und zu kräftig mit Hüften und Becken (Achtung, sexuelle Revolte!). Sind die Dialoge schon banal (“Hey Leute, jetzt wird's psychedelisch!“), so ist die Choreographie des Riesenensembles eine Katastrophe, ein kraftloses Gehampel und Gezappel. Und mittendrin ein schwerfälliger Gruppenguru, dessen Bauchansatz deutlich daran erinnert, was hier gespielt wird: Alte Herren proben die Revolution.

Die Story ist in ein zeitloses Deutschland verlegt. Doch ohne die USA und den Vietnamkrieg fehlt jegliche Spannung, und warum da jemand seinen Wehrpaß verbrennen will, bleibt unklar. Wie überhaupt alles, denn zwischen dem musikalischen Liederreigen – ein zäher Brei – gibt es nur noch ein paar zusammenhanglose Fitzelszenen. Hair auf der Höhe des Wagnerschen Musikdramas?

„Mein Problem ist, daß er mir immer steht!“, ruft Guru Georg einmal. So tapfer sich einige in dem allgemeinen Durcheinander auch stimmlich und tänzerisch behaupten, im allgemeinen steht hier gar nichts. Und das ist kein Potenzproblem, denn das Stadttheater hat in den letzten Jahren gerade mit seinen Musical-Inszenierungen von sich reden gemacht.

Hans Happel

Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus. Weitere Vorstellungen: 19./25./26./2.; 6./13./26./28.3