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Er kriegt es hin, und sie selber kriegt es auch hin

Die Lenggrieser Slalom-Olympiasiegerin Hilde Gerg hat alles richtig gemacht – speziell in der Trainer- und Partnerwahl  ■ Aus Nagano Ralf Mittmann

Der Körper spielte Shinkansen mit Hilde Gerg. So heißt der japanische Hochgeschwindigkeitszug, und so schnell wie der über Nippons Schienenstränge rast, pochte ihr das Herz und arbeitete der Kopf. Gefreut hatte sie sich schon riesig, als sie ins Ziel gerauscht war und auf der Anzeigetafel die „1“ blinkte. Perfekt hatte sie den zweiten Slalomlauf hinter sich gebracht, war nicht am Druck gescheitert, wie vor vier Jahren in Lillehammer im Riesenslalom noch passiert, als sie ebenfalls Zweite gewesen war nach Durchgang eins.

Medaille sicher, Silber sicher, oder doch Gold? Die Gedanken ratterten, als sich droben am Hang Deborah Compagnoni aus dem Starthäuschen stürzte. Nicht daß Frau Gerg der Führenden nach Lauf eins das Ausscheiden wünschte, aber einen Hackler würde sie vielleicht schon machen können oder einen Rutscher oder was auch immer, einen kleinen Fehler eben. Langsamer könnte sie doch sein, die Italienerin. Silber? Oder doch Gold?

47,17 Sekunden benötigte Compagnoni, und das waren 0,36 Sekunden zuviel. Tatsächlich hatte sie einen Fehler produziert, und Gold gehörte Gerg. Die warf ihre Arme in die Luft und hob endgültig ab zu einer Karussellfahrt rundum positiver Gefühle. „Nicht zu glauben ... unbeschreiblich ... gibt's nicht ... kann's nicht schildern“ und so weiter. Weil ein Olympiasieg eben etwas Nichtalltägliches ist, hagelte es aus dem beanspruchten Kopf erst mal Allgemeinplätzchen.

Später am Tag fand Gerg (22) wieder zu sich selbst. Sich bewußt, daß die Boulevardpresse Schlagzeilen produzieren würde wie etwa „Auf dem Liebeskurs zum Gold gewedelt“, nutzte sie die Gelegenheit, um über ihre Liaison mit Wolfgang Grassl zu reden.

Ausgerechnet ihr Techniktrainer und Freund hatte nämlich den zweiten Lauf ausgeflaggt, den sie in Bestzeit bewältigte. Aber Vorsicht bitte, sagte Gerg: „Er hat ihn schon eng und rhythmisch gesteckt, wie ich mir's gedacht habe, aber man weiß ja trotzdem nie, ob er's hinkriegt und ob man's selber hinkriegt.“ Und so hat sie sich nicht weiter aufgehalten mit Gedanken an einen möglichen Vorteil, sondern ist „trotzdem voll gefahren“.

Der Wolfi und die Hilde hier, der Trainer und die Athletin da. Schwierig ist das. Wie steht das Team dazu, wie der Cheftrainer, wie die Öffentlichkeit? Was passiert, wenn die Leistung ausbleiben sollte? Wie umgehen mit den eigenen Gefühlen? Sich zeigen, Hand in Hand? Sich bedeckt halten? Fragen über Fragen haben die beiden miteinander diskutiert. Trainer und Athletin, das ist nicht die Normalität, jedenfalls nicht einfach so. Lange genug haben der Grassl und die Gerg ihre Liebe in der Öffentlichkeit nicht gelebt, der Wolfi und die Hilde waren sie erst, wenn hinter ihnen eine Tür ins Schloß gefallen war.

Der Trainer Grassl hatte gar Überlegungen angestellt, sich einen anderen Job zu suchen. Cheftrainer und Mannschaft haben das Thema dann besprochen, die Beziehung ist „offiziell abgesegnet“, wie es Hilde Gerg nennt.

Ein anderes Problem müssen die beiden selbst miteinander ausmachen. „Wenn du dich von früh bis spät siehst“, erzählte Gerg, „dann bist du im Training leicht viel explosiver und regst dich leichter auf, wenn der Trainer dein Freund ist.“ So manche Schimpferei mußte sich der Trainer Grassl anhören, um die ein anderer an seiner Stelle herumgekommen wäre. „Wenn's ein anderer ist, würdest du das wohl nicht machen.“

Wenn sie schon einmal am Reden war über Beziehungen, dann gleich richtig. Und so gab Gerg gestern auch noch einen Einblick in das Miteinander im erfolgreichen deutschen Frauenteam, in dem die drei Siegfahrerinnen Seizinger, Ertl und Gerg herrschen – und teilen? „Immer wieder wird behauptet, daß wir uns nicht verstehen. Aber das stimmt nicht. Wir sind Freunde, zwar nicht so wie bei welchen von Kindheit an, aber eben doch Freunde. Wir machen keine Show.“ Ernst gemein seien sie gewesen, die innigen Umarmungen, die die Olympiasiegerin im Zielraum von ihren Kolleginnen erfuhr. „Heute ist die Hilde der Chef“, sagte Katja Seizinger, die tatsächlich besonders um die Jüngere besorgt war. Sie kann es sich allerdings auch leisten.

Martina Ertl, wie Gerg vom SC Lenggries, war als Vierte wieder gut plaziert und dennoch, wie schon als Silbermedaillengewinnerin in der Kombination, etwas an den Rand gedrängt. Seizinger hat zweimal Gold, Gerg einmal, beide sind legitime Nachfolgerinnen von Rosi Mittermaier. „Die ganze Saison“, sagte also Ertl, „war für uns ein Traum.“ Und trällerte: „Ich vergönne es einer jeden.“ Beim Riesenslalom heute früh würde sie es, bei allem Altruismus, sicher auch mal – sich selbst gönnen.

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