: „Ich ziehe das durch, aber hinterher ...“
Zweitlese auf der Wartebank: Ein neues Ausbildungsprogramm für benachteiligte Jugendliche wird von Hamburgs Wirtschaft aus fadenscheinigen Gründen nicht akzeptiert ■ Von Ilonka Boltze
„Mich wollte bisher keiner haben, traut uns ja eh kaum einer was zu.“Anthoula N. fixiert mißmutig die Zahlenreihen an der Wand – Rechenübungen für die Zwischenprüfung der angehenden technischen Zeichnerinnen. „Ich ziehe das trotzdem durch, aber hinterher lasse ich mich umschulen“, konstatiert die 18jährige Griechin im zweiten Ausbildungsjahr und klopft auf ihre Aufzeichnungen.
Vor anderthalb Jahren sah es anders aus. Da glaubte die Hamburger Realschülerin,als Ausländerin das große Los gezogen zu haben. Sie ergatterte einen von elf außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen als technische Zeichnerin, die aus EU- und städtischen Mitteln finanziert werden. Die Ausbildung ist Versuchsmodell der Hamburger Ausbildungspartnerschaften (HAPS), die seit ihrer Einführung Mitte 1997 als flexibilisierte Ausbildungsform mit geteilter Verantwortung offiziell gefeiert werden. Faktisch aber haftet dem Programm für benachteiligte Jugendliche das Stigma der „Förderbedürftigkeit“an – und könnte Anthoula den erhofften Berufseinstieg zunichte machen.
Die Hamburger Grone-Schule und das Hamburger Berufsbildungs-zentrum (HBZ) bieten mit einem knappen Dutzend kaufmännischer und technischer Berufsabschlüsse zur Zeit 50 und ab August 200 benachteiligten Jugendlichen eine Ausbildung im Verbund mit der freien Wirtschaft an. In zwei Jahren sollen die Azubis eine Grundausbildung erhalten und im dritten Lehrjahr in Betriebe der freien Wirtschaft wechseln. Eine kostengünstige Alternative für Arbeitgeber, doch von einer Partnerschaft ist zumindest bei den betrieblichen Ausbildern für technische Zeichnerinnen nichts mehr zu spüren. Von der geplanten Übernahme der Jugendlichen im dritten Ausbildungsjahr wollen die vormals interessierten Unternehmen nichts mehr wissen, nicht eine einzige Zusage liegt bisher vor.
„Wir erhalten selbst für Praktika nichts als fadenscheinige Ausreden. Dabei sind unsere Jugendlichen für die gängigen CAD-Techniken ausgebildet und verfügen nach diesen zwei Jahren über ein solides Grundwissen“, beschwert sich Reinhard Kuhn vom HBZ.
„Benachteiligt“– bei dem Sammelbegriff gibt es viele Vorurteile, was die Leistungsfähigkeit betrifft. Es liegt im Ermessen des Arbeitsamtes, Jugendlichen wegen schlechtem oder nicht vorhandenem Schulabschluß, Straffälligkeit oder nichtdeutschem Elternhaus eine „Benachteiligung“zu bescheinigen und sie in einem Förderprogramm unterzubringen. Über 2000 Jugendliche in Hamburg sind arbeitslos gemeldet, mehr als zwei Drittel davon sind ungelernt. Sogenannte „Benachteiligte“bleiben meist auf der Wartebank sitzen.
Mit den seit Januar geltenden Gesetzen könnte sich die Benachteiligtenförderung auf die Besseren unter den Schwachen konzentrieren. Leistungskriterien sollen die „durch die bisherige Vollversorgung erstickte Eigeninitiative der Jugendlichen“wieder neu beleben, wie Hans-Otto Bröker vom Arbeitsamt Hamburg kürzlich frohlockte: „Statt Marktausgleich werden auch die Förderprogramme für Benachteiligte jetzt erfolgsabhängig.“Eignungstests und Auslese findet auch Reinhard Kuhn vom HBZ richtig: „Wir bieten den Betrieben meist nur die Besten unter unseren Azubis an.“
Und das zu günstigen Konditionen: Um für die technischen Zeichnerinnen doch noch einen Platz zu bekommen, ist das HBZ inzwischen bereit, die Ausbildungsvergütung zu übernehmen. Im Regelfall bezuschußt die Hansestadt mit monatlich 300 Mark und einer einmaligen 2000-Mark-Prämie bei Abschluß die Betriebe, die Benachteiligte ausbilden.
Trotz solcher Subventionen erreichen gerade 15 Prozent innerhalb der drei Lehrjahre das Ziel „Betriebsausbildung“. Die Mehrheit lernt, wie voraussichtlich auch Anthoula, bei den außerbetrieblichen Bildungsträgern aus. „Das ist zwar ein anerkannter Abschluß, doch eine glückliche Lösung ist das nicht, denn wir können hier die Berufswelt nur simulieren“, meint HBZ-Ausbilderin Heidi Thiel. Sie und ihre MitarbeiterInnen fühlen sich bei der Suche nach betrieblichen Ausbildern von der Handelskammer und den Gewerkschaftsverbänden im Stich gelassen. Immerhin kann das HBZ beträchtliche Erfolge verbuchen: Über die Hälfte seiner Azubis hat nach Abschluß eine feste Anstellung vorweisen.
Für Arbeitsamtvertreter Bröker steckt „die gesamte Ausbildungspolitik in einer Strukturkrise.“Viel zu unflexibel sei sie und reagiere verspätet auf Marktbedingungen. Um kleine und mittlere Betriebe zu gewinnen, sollten neben Ausbildungspartnerschaften neue Verbund-Ausbildungsplätze geschaffen werden, die von mehreren Unternehmen gleichzeitig getragen werden.
Ein solches Arbeitsmodell gibt es bei Blohm + Voss schon lange. 120 eigene Azubis stehen dort 50 aus anderen Firmen gegenüber – eine technische Zeichnerin aus dem HBZ ist bisher nicht darunter.
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