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Er kam, sah und versiegte

Der sächsische Stilmixer Wolfgang Krause Zwieback erfand sich vor rund zwanzig Jahren. Als ewiger Dadaist geriet er zum Exportschlager made in GDR. Im Westen oft als Kabarettist mißverstanden, wird er im BE jetzt ein „Berliner Example“ statuieren. Ein Porträt  ■ Von Matthias Wolf

Seine sonore Stimme bewegt die Technik. Klingelt das Telefon im Eckzimmer des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm, springt der Anrufbeantworter an. „Willkommenes Berliner Example. Bitte versprechen sie sich alles nach dem Pfiff.“ Oder auch nichts. „Wir haben hier einen hohen Antworterverschleiß“, erfindet der 46jährige hünenhafte Indianer aus Sachsen, als er sich zur Bierflasche niederläßt. Keinen Bockmist zu verzapfen, nimmt er sich für heute vor. So redet man sich dahin. Mal gibt er lange Antworten, mal nur minutenlang rhythmisiertes „Hmmmm“ mit anschließend geschraubtem Doppelsalto in andere Gefilde. „Es gibt Jubiläen wie Sand am Meer.“ Ach so.

Zum 100. Geburtstag Brechts hat sich das BE einiges geleistet. Nun eine bei Wolfgang Krause Zwieback bestellte Inszenierung „Berliner Example“, statuiert als „außerordentlicher Kongreß der brechtmäßigen Erben im Weinweißberg zu Porto Bassin“.

Das Bassin. Da ist es wieder. Aufgetaucht. Im Hafenbecken. Beim „Dampferaufgang 6.13 Uhr“, seinem letzten Soloprogramm, das er auch hier, am leckgeschlagenen Nostalgietanker mit Traditionsflagge, vergangenes Jahr zeigte. In Teddyplüschkostüm und wehende Hitzeschutzfolien verpackt, irrlichtert er als Kapitän über die Bühne, tippelnde Tanzschritte, beinahe kindlich schüchtern, dann wieder, in einer kurzen Drehung, verwandelt in eine neue Figur, beobachtet er „das Ein- und Auslaufen der Schiffe nach dem Untergang seines Dampfers“.

„Bedecktes und Verwußtes“ verschrauben sich zu neuen Begriffen; Wortungetüme türmen sich zu himmelhohen Wendungen, die, durch kleine Schwenks um Bedeutungsachsen gedreht, ins klare Wasser fallen. Die „Uniformationsgesellschaft“ beispielsweise, die bedeutende Erfindung der „Fischhaltebeutel“ und „geschliffene Blicke der Gesellschaft“ oder das „Erzählen in kleinen Schichten“ gibt es bei ihm, unterbrochen von Trompetenstößen seines exzellenten Mitmachers Gundolf Nandico, der beim „Berliner Example“ wieder mit an Bord ist. „Wir sind in Gedanken versunken“ ist auch so ein Zwieback- Satz, der sitzt. Essen? „Ei, Ei, Sir.“ Schwenk. Blick aufs Brecht-Müller-Theater, Robert Wilson brilliert in festlicher Garderobe.

Als lumpiger Fondrak, philosophierender Säuferclown und Alter ego Heiner Müllers zerkrümelt Krause Zwieback seit knapp einem Jahr die plattgesessenen Weisheiten im 60er-Jahre-Revival „Die Bauern“, das der Müller-Gefährte B. K. Tragelehn vor der Premiere abgab. Übernehmer Stephan Suschke holte Zwieback ins Bauern-Ensemble, und der fremdkörpert gehörig tanzend durch die alteingesprochenen Gewohnheiten. Er ist der springende Punkt des Abends, bleibt jedoch im Rahmen. Der Verrückte wirkt verrückt von einem Regisseur, vielleicht etwas zu inszeniert, kann „nicht ganz rausknallen“ aus der Strenge der kargen Bilder, was sonst unvermeidlich passiert. „Nun ja.“ Vielleicht auch logisch. Dann stand er auf dem Hof des BE und dachte so: „Vielleicht könnte man ja mal...“ Ja, er könne, hieß es.

Nun, zur gewollten Nestbeschmutzung, hat er selbst ein Berliner Ensemble: fünf Leute, die den großen Apparat zur Verfügung haben. Neben Starmimin Corinna Harfouch und Musiker Gundolf Nandico sind es Hamster Damm, der Mitausstatter und Assistent Stefan Kanis, der guckt, wenn Zwieback auf der Bühne bröselt.

„Die Gruppe ist gut, die Aufgaben springen so“, findet der Autor, Regisseur und halbe Hauptdarsteller Zwieback, wenn er über diese Arbeit nachdenkt. Der andere halbe ist schließlich kein geringerer als Corinna Harfouch, die sich von Berlinale-Wundern freispielen kann. „Ein Meister“, sagt Krause Zwieback geschlechtsverwirrt von ihr. Kurze Irritation. Meint er nun Brecht oder die Harfouch? Egal.

Der Wunsch des Hauses, ein eigenes Stück zum Thema Brecht zu entwickeln und „mit allen Freiheiten“ seine grundverschiedene Auffassung von Theater am Meister reiben zu können, gefiel ihm spontan. Brecht, der in seiner Pennälerzeit schließlich verlangte, alle Theater aus künstlerischen Gründen zu schließen, bleibt für Zwieback „ein großer Geist“. Im letzten Herbst bei Szenograph Damm im schwedischen Birkenwald über Brechts Werken sitzend, überkam Zwieback oft ein schallendes Gelächter. Was der absurde Realist von Sprache und Theater hält, ist so weit entfernt von Brecht, daß es schon wieder interessant wird. „Je näher man Brecht kommt, desto ungünstiger ist es“, weiß er heute. Disziplinierung darf nicht gelten.

Mit den Disziplinen tut sich Wolfgang Krause Zwieback ohnehin schwer. 1951 im ostsächsischen Kamenz geboren (Lessing-Stadt wohlgemerkt), geht er 22jährig an die Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig. Die kreativen Freiräume, die Rektor Bernhard Heisig gewährt, nutzt der Graphikstudent mit Rektorensohn Johannes und Freunden zu legendären Dada-Spektakeln, die sich auch über die Faschingsrevuen hinaus am Leben erhalten.

Der kindlich-verspielte Gestus ist seit dieser Zeit aus Zwiebacks Programmen nicht gewichen. Wie in seinen Porträtzeichnungen, die den Absolventen 1978 für zwei Jahre ans Leipziger Gewandhaus verschlagen. Als sich zwei der Porträtierten gegen Krauses kalligraphische Kunststücke wehren, gibt auch der „Alte“ alias Kurt Masur gewerkschaftlich nach. „Der Theaternerv ist in dieser Zeit wieder mächtig angeschwollen“ – Zwieback bemüht sich um die Einstufung als Bühnenkünstler. 1980 hat er „die Pappe endlich“ und tourt mit seinem Solo-Abend „Und nun: Aufgehört!“ fast tausendmal als „Vers-Sager“ zwischen Boheme und Akademie. 1987 wird er Reisekader, sprich Exportartikel made in GDR.

„Kabasurdes-Abrett-Theater“ war damals seine einfache Antwort auf die schwierige Frage, in welche Schublade Zwiebacksche Kunst eingeordnet werden könne. Als Wortakrobat sucht er in wandelnden Bildern sein Heil. „Hy- Land“ heißt sein Programm in den 90ern und bringt ihm aufschlußreiche Mißverständnisse ein. Als ihm 1991 in Mainz der Kleinkunstpreis verliehen wurde, hielten ihn im Westen viele für einen Kabarettisten – bloß viel schlechter als Helge Schneider.

Daß sein Humor ein ganz anderer ist, zeigt seine tiefsinnig-elitäre Haltung dazu: Den „Deutschen Kunstpreis in Klein“ habe er damals bekommen. Sein Foto-Text- Buch „Die Lust ist schön als Überfall“, das er im nächsten Jahr mit Christoph Bigalke bei Reclam Leipzig ediert, zählt zu den schönsten Reminiszenzen an den kurzen Frühling der Anarchie im deutschen Nachwendeosten. Ein Aufstand der Phantasie gegen die normierten Begiffe. Und eine theatralische Botschaft mit Nachdruck – eine des Buchkünstlers Krause Zwieback.

Er treibe „Theater für die Sinne“ – darauf könne man sich einigen. „Die Worte sind absolut ruiniert.“ Punkt. Die Gesamtmischung eines Zwieback-Abends macht's erst, ein Horizont, der sich ekstatisch bewegt, „das irritiert viele“. Sounds, Bewegungen und Worte mixt er zu neuen Welten zusammen: Lust-Spiel, Schau-Spiel, Musik-Theater. Zwieback möchte Punkte im Körper verbinden, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollen. „Kopf, Seele, Bauch werden in die Schwebe gebracht – und der Zuschauer steht danach innerlich diagonal im Raum, wenn es klappt.“ Und es klappt meistens.

„Was soll der Unsinn?“ fragten ihn in Frankfurt am Main irritierte Comedy-Zuschauer. „Mein Sinn liegt im Un“, heißt die lapidare Antwort des Künstlers. Die Fangemeinde, auch über das subkulturelle Milieu des Ostens hinaus, ist inzwischen bedrohlich größer geworden, läßt sich der sensible Stimmungsmischer doch sehr auf die Temperatur eines Raumes ein. Davon leben seine bizarren Gebilde, ehe sie wie eine tagträumerische Vision wieder verblassen. War was? Was war wahr?

„Hin und Weg“ hieß die Strategie Zwiebacks bisher, der Spieler gilt als Spielverderber. Um volle Häuser zu bekommen, ist seine Kunst zu skurril, in der freien Szene gibt es kaum ausreichende Möglichkeiten. „Es ist ätzend“, sagt Krause Zwieback beim zweiten Bier. „Man will ja nicht vorsätzlich danebenliegen. Aber was soll man machen?“ Zwischen Erstaunen und Entsetzen liegen die Reaktionen auch bei den alten Haudegen am BE. „Sehr freundlich und fair“ seien alle zu ihm, „vielleicht bis auf einen...“, gibt er zu. Trotz „gewisser romantischer Ehrfurcht“ fühlt er sich nicht durch den Ort belastet. Was ihn am meisten stört, ist das Dahindämmern des Theaters. „Es lebt einfach nicht als offenes Haus.“ Dennoch, ein „Idealfall“, wenn er sich überlegt, hier gemeinsam eine andere Form zu entwickeln: „Wenn schon leben, denn gerade hier...“

Leben? Wenn schon, denn: Leipzig, wohin er mit aller Haßliebe gehört. „In dieser Mischung aus Provinz und Großstadt kann ich mir noch ein paar Gefühle leisten“, weiß Zwieback, obwohl er die Sachsenmetropole inzwischen „aufgeschlimmt durch die Besatzer“ findet. In Berlin sei das alles wesentlich schärfer. Fährt er mit dem schwedischen Kombi wieder von Leipzig an die Spree, betrachtet er für einen Augenblick seine Situation im „Melancholesterinspiegel“. Ein bißchen nachhängen muß man schon dürfen“, findet er, um dann wieder durchzustarten. „Das Ende wird sich endern.“

„Berliner Example“ von Corinna Harfouch und Wolfgang Krause Zwieback hat am 3. März im Berliner Ensemble Premiere

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