: Lizenz zum Prügeln
■ Gericht gab polizeilichen Übergriffen bei der Mölln-Trauerfeier am Flughafen seinen Segen / Einsatz war recht- und verhältnismäßig Von Silke Mertins
Die brutalen Polizeiübergriffe und Platzverweise vom 27. November 1992 bei der Trauerfeier für die Opfer von Mölln am Flughafen Fuhlsbüttel waren doch nicht rechtswidrig. Im Berufungsverfahren, das die Hansestadt angestrengt hatte, nahm das Oberverwaltungsgericht (OVG) das erstinstanzliche Urteil jetzt zurück. Die Polizei hätte sowohl „rechtmäßig“ als auch „verhältnismäßig“ gehandelt, befand das OVG.
Im Rahmen mehrerer Veranstaltungen zu den rechtsradikalen Anschlägen von Mölln hatte ein Zusammenschluß türkischer Organisationen zu einer Trauerfeier am Flughafen Fuhlsbüttel aufgerufen. Am Abend des 27. November 1992 sollten die Särge der Opfer in die Türkei überführt werden. Als Polizisten den Trauernden den Zugang zur Charterhalle versperrten, seien sie angegriffen worden. Dieser Darstellung widersprechen die DemonstrationsteilnehmerInnen heftig. Brutal und ohne Vorwarnung hätten Polizisten mit Schlagstöcken auf die Ausgesperrten eingedroschen – auch auf Faruk Arslam, den Vater des ermordeten Mädchens. Mit gezogener Pistole stürmte ein Beamter ein mit Frauen und Kindern besetztes Privatauto.
Nachdem Staatsanwältin Monika Zippel die Ermittlungen gegen die Beamten eingestellt hatte, erhoben die Opfer polizeilicher Prügel Anklage gegen die Freie und Hansestadt Hamburg. Streitpunkt: Hätte die Polizei den Trauernden den Eintritt in die Flughafen-Charterhalle verweigern dürfen? Hätte sie nicht, befand das Verwaltungsgericht im Juli 1994; die Absperrung sei „rechtswidrig“ gewesen.
Dagegen legte Hamburg Revision ein und bekam letzte Woche in zweiter Instanz vom OVG recht. Die Richter Hoppe, Korth und Mehmel stützen ihr Urteil auf Formalien: Die Demonstration sei nicht angemeldet gewesen, außerdem hätte es keinen Ansprechpartner für die Polizei gegeben, mit dem Zweifel über die friedlichen Absichten hätten geklärt werden können. Zweifel aber seien angebracht gewesen, „weil laut der vom LKA 3 erstellten Lagebeurteilung“ Störaktionen geplant waren. Daher hätte die Polizei die Sicherheit der Reisenden als ein höheres Rechtsgut als das Versammlungsrecht schützen müssen. Tatsächlich will das Landeskriminalamt einen „vagen Hinweis“ erhalten haben, daß linksradikale Türken und PKK-Anhänger versuchen würden, den Flugverkehr lahmzulegen. „Erst nach geraumer Zeit wurde mir klar, daß die Personen durch ihre Anwesenheit im Flughafen ihre Solidarität und Trauer“ zum Ausdruck bringen wollten, so der Einsatzleiter in seiner Zeugenaussage vor Gericht.
Doch obwohl es gar keine Anzeichen von Störabsichten gab und viele Kinder zu den TeilnehmerInnen zählten, nannte das OVG die polizeilichen Maßnahmen angemessen. Aufgrund der diffusen Situation hätte man davon ausgehen müssen, daß „zumindestens der Verdacht einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand“, so das Oberverwaltungsgericht und erteilte damit der Polizei nachträglich den juristischen Segen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen