„Zwei Meinungen zweier Männer“

■ betr.: „Ein bißchen Frieden statt ein bißchen Wahlkampf“ (Grüner Wahlparteitag) u.a., taz vom 9.3. 98

Bravo Super Hervorragend Toll Weitsichtig Spitze Innovativ Gut Irre. Mehr fällt mir eigentlich nicht ein zu dem was ihr da in Magdeburg verzapft habt. Was wollt ihr eigentlich? Genosse Trittin u.a. [...] Thema Benzin: Natürlich dringt kein Kommentar durch, wie die Leute entsprechend entlastet werden sollen. Nicht das es nicht geht – Ihr bringt es einfach nicht rüber. [...]

Thema Bundeswehr: Bei dem Thema Bundeswehreinsätze bin ich vom Grundsatz her auch bei euch, aber wo war denn die Alternative, als sich alle in Jugoslawien abgeschlachtet haben? Wo waren die in die Öffentlichkeit vorgedrungenen und umsetzbaren Vorschläge der Grünen? Welche Situation haben wir denn jetzt?

Kohl hat gewackelt und ist Dank euch wieder in der Offensive. Die FDP hat gewackelt und ist wieder in der Offensive. [...] Bin mal gespannt wie ihr aus dieser Scheiße wieder rauskommen wollt. Jörg Ditt, Eichstädt

Telegen durchgestylt sollte die BDK werden, das Programm keine Hindernisse für Rot-Grün (oder das, was grüne Altvordere für rot-grüne Politik halten) mehr haben. Dazu hatten Bundesvorstand und Bundestagsfraktion sogenannte „Kompromisse“ erstellt, an denen im Grunde nicht mehr gerüttelt werden sollte. AntragstellerInnen wurde dementsprechend signalisiert, daß sie mit ihren Anträgen Störenfriede seien und zudem mit ihrem Antrag Rot- Grün verhinderten und der Großen Koalition den Weg ebneten.

Und wie es sich für eine basisdemokratische Partei gehört, sollten die großen Ströpmungsexponate die Lager „auf Linie“ bringen.

Im Zweifelsfall wurden dann Größen der beiden großen Lager (Realos / Regierungslinke) aufgeboten, die oft mit unendlich peinlichem Populismus Anträge lächerlich machten und bewußt in CDU- Manier demagogisch Falschinterpretationen streuten (zum Beispiel in der Drogendebatte: „Ihr wollt einfach so bunte Pillen für alle.“). Und immer wieder die Ermahnung: wenn das durchkommt, brauchen wir das Programm gar nicht erst drucken – auch wenn das 94er Programm das forderte.

Vielleicht wäre es dann ja angebracht, gar kein Programm zu haben? Dann gibt es keine Mißverständnisse mehr.

Glücklicherweise hat die grüne Basis zumindest in der Außenpolitik dieser Sozialdemokratisierung, in der die Delegierten nur noch Vollstrecker eines höheren Parteiwillens sein sollten, eine klare Abfuhr erteilt: trotz der Bemühungen führender Köpfe von Realos und Regierungslinken pochte die Versammlung selbstbewußt auf eine eigene Meinung. Sie hat somit ein großes Stück demokratischer Kultur der Grünen bewahrt. Jens Augner, GAJB-

Bundesvorstandssprecher

[...] Sieben Tage nach der Niedersachsenwahl bröckelt der Putz der frisch gezimmerten Fassade. Die Grünen, mit dem Landtagsergebnis bereits abgewatscht, haben, kurz nachdem ihnen schon die Frage nach einer Teilnahme am Personenwahlkampf den Kopf verdrehte, eine Entscheidung getroffen, die den überwiegenden Teil der Öffentlichkeit entgeistert innehalten läßt. Auch wenn der Entschluß, friedenserzwingende Militäreinsätze abzulehnen, nach Abstimmung und gründlicher Abwägung zustande kam und Grundüberzeugungen demonstriert, so ist anzunehmen, daß er gefährlich auf die Bremse derer steigt, die Rot/Grün für den September 1998 herbeisehnen. Gewiß ist ein gehöriges Maß an Eigenidentität nötig, um den anstehenden Wahlkampf als individuelle Partei durchzustehen. Ob das aber um jeden Preis geschehen sollte? [...] Was nützt einem am Ende ein ewiger Platz in der Opposition, glücklich zwar (man steht halt zu den Idealen), nur leider ohne Einfluß. Torben Rosenbohm, Oldenburg

Etwas Schreckliches, Unfaßbares ist in Magdeburg geschehen. Die Mehrheit der bündnisgrünen Parteitagsdelegierten ist den Grundsätzen der Partei treu geblieben und war nicht bereit, aus wahltaktischen Überlegungen Grundprinzipien über Bord zu werfen. Nun steht die Republik Kopf, vom rechtskonservativsten Leitartikler bis zur taz-KommentatorIn prügeln alle auf die „linke Träumer“ ein, die mit ihrem unbequemen Votum angeblich wieder mal ihre Regierungsunfähigkeit unter Beweis gestellt haben.

Den Vogel in diesem schrillen Konzert schießt zweifelsohne der ehemalige B'90/ Grüne- und heutige SPD-Mitarbeiter Wolfgang Bruckmann ab, wenn er in seinem Debattenbeitrag Leute wie Christian Ströbele des „Linksnationalismus“ sowie eines „Pazifismus, der über Leichen geht“ bezichtigt. Der polemische Ausfall des früherern CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler, wonach der Pazifismus der 30er Jahre Auschwitz erst möglich gemacht hat, wirkt offensichtlich immer noch nach. Wer die Abstimmungsergebnisse von Magdeburg so unsachlich und überzogen kommentiert, hat sich als ernstzunehmender Diskussionsteilnehmer disqualifiziert.

Aber es gibt ja auch noch die besorgten WarnerInnen, die den bündnisgrünen AbweichlerInnen vom Mainstream unkluges, ja törichtes Verhalten und das Verprellen von WechselwählerInnen vorwerfen. Taktik und Strategie seien halt bisweilen in der Politik notwendig, um neue Mehrheiten zustande zu bringen. Der/die WählerIn also doch nur das tumbe, unmündige Wesen, das mit kleinen Tricks zu seinem Glück gezwungen werden muß? Uwe Tünnermann, Lemgo

Sind auf dem Parteitag der Grünen in Magdeburg eigentlich nur die Beschlüsse zum Bosnieneinsatz der Bundeswehr und zur Benzinpreisgestaltung gefaßt worden? Statt die „zwei Meinungen zweier Männer interessieren mich doch eher die weiteren Diskussions- und Beschlußinhalte des Parteitages. Wann berichtet Ihr darüber? In ungeduldiger Erwartung Ulrike Haufe-Künkler, Wetter

Wie angepaßt muß diese Partei geworden sein, die sich einst „die Alternative zu den herkömmlichen Parteien“ nannte, wenn aus einem 100seitigen Wahlprogramm gerade noch zwei Punkte zu Wirbel und Ablehnung bei den Altparteien und den Medien führte.

Dabei dürften die trotzig hochgehaltenen fünf Mark pro Liter Benzin sicher eher Wählerstimmen kosten, als der Beschluß zum Bosnieneinsatz der Bundeswehr. Dieser ist allerdings viel mehr, als ein „gesinnungspazifistischer Traditionserlaß“, wie ihn Wolfgang Bruckmann in seinem Pamphlet abqualifizierte. Es gibt die berechtigten Bedenken, daß sich der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien zu einem Vorspiel zu weltweiten Kampfeinsätzen im Rahmen der schnellen Eingreiftruppe der Nato entwickelt. [...]

Die Ablehnung dieser Strategie darf kein deutscher Sonderweg werden. Es geht darum, nach dem Ende des Wahrschauer Paktes nun in Europa für eine gemeinsame gewaltfreie Friedenspolitik zu werben. Dafür würde ich B'90/ Grüne nach Bonn und Europa wählen. Sonst kann ich doch gleich die SPD wählen. Dieter Burgmann, Hohenstadt

In einer völlig überflüssigen und sinnlosen Eskalation wurde dem Parteitag eine Debatte aufgezwungen, die außer einigen Profilneurotikern und Durchmarschierern in Richtung Mainstream, denen ein vernünftiger und konstruktiver Umgang mit den bestehenden Differenzen offenkundig gleichgültig ist, niemand wollte. Dem Kommentar von Jürgen Gottschlich ist da nichts hinzuzufügen.

Man muß aber mal wieder die FAZ lesen, um über die genauen politischen Hintergründe grüner Politik informiert zu werden. Mit der Aneinanderreihung von Zitaten kann man Stimmungen beschreiben – und auch erzeugen; der Wahrheitsfindung ist's nicht unbedingt dienlich. Ich wurde mit dem Satz zitiert, das Kompromißpapier sei eine Öffnungsklausel für weitere Einsätze. Das provoziert das Mißverständnis, ich sei gegen den Kompromiß gewesen. Ich habe ihn vielmehr offensiv verteidigt. Denn es galt, angesichts der für das Wahlprogramm völlig überflüssigen Aussage zum konkreten Fall Bosnien eine Schadensbegrenzung vorzunehmen. Der Kompromißvorschlag sollte klarstellen, daß die bestehende Situation in Bosnien, und das heißt auch die Existenz der SFOR-Truppen, Realität ist und damit die Voraussetzung, überhaupt eine Perspektive zu entwickeln, die einen echten Prozeß der Friedenserhaltung und der Friedensbildung ermöglicht. Diese „Öffnung“ zu einer realitätstüchtigen Politik wird, da bin ich sicher, von einer Mehrheit der Grünen geteilt. Es gibt dazu realistischerweise keine Alternative.

Etwas anderes ist es, die notwendige Absage an eine Politik der militärischen Friedenserzwingung, ohne die unsere Kritik an der Umgestaltung der Bundeswehr zu einer Interventionsstreitmacht unglaubwürdig würde, zu relativieren. Der ursprünglich vorgelegte Antrag Baden-Württembergs betrieb das alte Radio-Eriwan-Spiel: Im Prinzip ein pazifistisches Ja, die Ausnahme bestätigt die Regel, bis sie selbst zur Regel wird. Nicht zuletzt aufgrund des Verdachtes einer solchen „Öffnung“ friedenspolitischer Positionen durch die Hintertür hat sich der Parteitag dem Kompromiß verweigert. Sein Sinn war, daß die bestehenden Probleme im Alltag Bonner Politik hätten gehändelt und differenzierte Antworten hätten gefunden werden können. Daß die „Basis“ – die aus vielen klugen und engagierten Mitgliedern besteht – auf dem Parteitag dies als undurchschaubar, unglaubwürdig, ja als Manipulationsmanöver wahrgenommen hat, zeigt nur eins: Auch der beste politische Wille der „Führung“ wird desavouiert, wenn er die Herzen und die Köpfe in der Partei ignoriert. Albert Statz, Bonn