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Maschine ersetzt Mensch

Die Weber im Wuppertal wollen den Wandel der Wirtschaftsbedingungen nicht wahrhaben. Sie beten und arbeiten  ■ Von Annette Jensen

Elberfeld, im März 1848 (taz) – In Elberfeld ist alles ruhig. Die Weber gehen abends weiter in die Kirche und danken Gott, daß sie weben konnten. Tagsüber hört man aus ihren Häusern Choräle erschallen. Es scheint, als ob sie die wirtschaftlichen Umbrüche nicht wahrhaben wollen, die ihnen die Lebensgrundlage entziehen.

Auch im Wuppertal ersetzen immer mehr Maschinen die arbeitenden Menschen. Zwar schuften die meisten Weber noch zu Hause und holen nur einmal wöchentlich Baumwolle und Seide bei ihrem Verleger ab und liefern ihm fertiges Tuch. Doch vor vier Jahren hat die Firma Boeddinghaus in Elberfeld die ersten Kraftwebstühle angeschafft. Die werden mit Dampfmaschinen angetrieben und sind drei- bis viermal schneller als die schnellsten Handweber. Zwar reißen häufig die Fäden, was oft zu stundenlangem Stillstand der Produktion führt. Doch Boeddinghaus hat trotzdem weitere Webstühle in England geordert. Denn schon nach zwei Wochen kann ein 14jähriges Mädchen zwei Maschinen auf einmal bedienen. Das spart viel Lohn.

Anderswo in Deutschland zeichnet sich diese Entwicklung schon seit langem ab. In Berlin zum Beispiel haben die Gebrüder Cockerill aus Holland, deren Vorfahren in England lebten, schon vor Jahrzehnten eine moderne Wollspinnerei aufgebaut. Sie bekamen dicke Subventionen aus der Staatskasse, damit sie hierzulande moderne Maschinen herstellten und den preußischen Unternehmern deren Anwendung demonstrierten. In Guben, Cottbus und Grünberg konnten preußische Fabrikanten die neue Fertigungsmethode in Augenschein nehmen. Doch viele von ihnen zweifelten erst einmal daran, daß so ein Betrieb ohne staatliche Zwangsmaßnahmen funktioniert: Wie bringt man die Leute dazu, pünktlich anzutreten? Die Gebrüder Cockerill verwiesen auf England und versicherten, der Maschinentakt werde schon für Disziplin sorgen.

Die Weber dagegen hört man bis heute fordern, daß Maschinen im Gewerbe grundsätzlich verboten gehören und Frauenarbeit eingeschränkt werden soll. Doch die Internationalisierung des Handels ist schon darüber hinweggerollt. In England gibt es seit langem mechanische Webstühle. Die Forderung der preußischen Tuchhersteller, die billige Konkurrenz mit Schutzzöllen draußen zu halten, verhallte ungehört.

Immer weniger Weber können von ihrer Arbeit leben. In den vergangenen Jahren haben die Behörden ihnen gelegentlich Beschäftigung verschafft. Aber im Straßenbau sind sie kaum einzusetzen. Die Wegebaumeister beschweren sich: Die Weber sind meist schwach und schlecht genährt, so daß sie keinen zehn Pfund schweren Hammer schwingen können. Außerdem weicht ihre dünne Kleidung bei Regen sofort durch.

Bei all dem hilft kein Beten. Hoffentlich kommt diese Einsicht auch bald hier in Elberfeld an.

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