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Heute: Die Kolumne des Grauens Von Susanne Fischer

Vorab möchte ich bemerken, daß ich heute in einem Leibchen am Computer sitze, auf dem hinten in großer Schrift „Sponsored by Volker Rühe“ steht, während vorn derselbe bleiche Herr knödelähnlich von meinem Busen grinst. Man muß schließlich als gute deutsche Kolumnistin auch mal Farbe bekennen und kann nicht immer nur die anderen die Drecksarbeit tun lassen. Man hat auch Pflichten.

Im allgemeinen bin ich mit der Welt ja ziemlich einverstanden, von ein paar Kleinigkeiten (Verteilung von Geld, Macht und Schönheit) einmal abgesehen. Weltweit bisher nicht zufriedenstellend gelöst erscheint mir jedoch die Streuung von Handlung im Raum- Zeit-Kontinuum. Besonders ungerecht dürfte die Verteilung der Kriminalität geraten sein, und das betrifft reale wie fiktive Morde gleichermaßen. Dieser Absatz wurde von Volker Rühe gesponsert. Beispielsweise muß ich beinahe jeden Montag in der Zeitung lesen: „Spaziergänger machten einen grausigen Fund.“ Ich gehe auch mal am Wochenende spazieren, mache dabei aber niemals einen grausigen Fund, wenn man vom Nachbarsknecht absieht, der nach dem Feuerwehrball betrunken am Rande des Misthaufens schläft. So betrachtet, mache ich natürlich jedesmal lauter grausige Funde, wenn ich durch mein Dorf laufe und in den erleuchteten Fenstern die neuesten Entwicklungen auf dem Wohnzimmerdekorationssektor begutachte, die sich in diesem Fall seit fünfzig Jahren gleichsehen, oder noch länger. Ob es ein Amt für grausige Fundsachen gibt oder ein Amt für grausige Fundberechtigungen, das einem nach fünfzehn Jahren geduldiger und ereignisloser Sonntagsspaziergänge einen Schein ausstellt, der zum „Fund eines abgenagten Schulterknochens mit rituellen Schnitzereien“ berechtigt? Ob dieser Absatz von der Atomindustrie bezahlt wurde?

Ebenfalls ungerecht ist die Verteilung der Handlung von Kriminalromanen in der Vergangenheit. Warum gibt es keine Behörde, die unsere Autoren zurechtweist: „Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß das Berlin der dreißiger Jahre bereits komplett mit Dreh- und Schreibgenehmigungen ausgebucht ist. Statt dessen könnten wir Ihnen Buxtehude um 1910 oder Husum im Jahre 1970 anbieten.“ Ja, da ist es dann vorbei mit dem dumpfen Marschtritt der SA- Leute, der als Hintergrundkulisse und Soundtrack eine armselige Idee aufpeppen soll. „Der stumpfe Marschtritt der Flowerpower-Bewegung verdüsterte die Atmosphäre – die schwarzen Uniformen der Jusos wirkten wie ein böses Omen – Willy Brandt begeisterte die arglosen Massen –“, und dann gibt er auf, der Autor, weil es nicht hinhaut. Lieber betrinkt er sich und sinkt glücklich an einen Misthaufen der Geschichte, so daß ich dann bei meinen Streifzügen durch die schöne Welt der ungeschriebenen Literatur wieder einmal einen grausigen Fund machen muß.

Am vergangenen Sonntag war es schließlich soweit. Ich ging spazieren und erinnerte mich, wie ich mich schon als Kind dabei gelangweilt hatte. Der Marschtritt der Hirsche verdüsterte die Atmosphäre, und die schwarzen Uniformen der Eichhörnchen wirkten wie ein böses Omen. Der Förster begeisterte die arglosen Massen, als plötzlich Frau Fischer, starr vor Entsetzen, Volker Rühe in ihrer grausigen Kolumne wiederfand.

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