: Die Null war gefallen
Ein tollkühner Nachrüstungsbeschluß brachte nur kurze Hoffnung für die Schalker Eurofighter, denn Inters Verteidigungsring hielt wie die Oder-Wehr ■ Von Bernd Müllender, Grenadierzugführer
Schalke (taz) – Jawoll! Am besten, ich gestehe es gleich am Anfang: Eine einzige schöne Erinnerung an das Oder-Hochwasser – und meine Berufs-Entscheidung ist mal wieder bestätigt. Berufe 98? Keine Frage: Ja, auch ich will im Grunde meines Herzens Kriegsreporter sein. Ja und jawoll und jawollja. Ihr seid da. Ich bin da. Hach, was waren das tolle Kerle auf dem Schalker Rasen. Welch mannhaft Gemetzel, als es zur Europapokal-Viertelfinalschlacht ging. Ja, Schalkes Eurofighter haben heldenhaft gekämpft, tolle Nahkampfscharmützel geboten, überall Sturmtruppen mit offenem Visier. Ein großer Abend, eine große Schlacht. Die Bundeswehr darf keinen richtigen Krieg mehr machen, dann lobpreisen wir zumindest solchen Frontfußball. Das ist schönster Krieg mit ähnlichen Mitteln wie in diesem Mordsgewerbe. Und der Krieg um die Herzen der Menschen hat doch erst begonnen. Schalke: Unser Leben 98. Bundeswehr: Unsere Berufung 98. Allein schon deren Vier-Sterne- General Huub Stevens – das ist kein Trainer, das ist ein Clausewitz. Dieser Niederlandmann kann sogar mit der Zunge fechten: „Die Null muß stehen“, ist seine Kriegsphilosophie, soll heißen: Solange du kein Gegentor bekommst, hast du alle Chancen auf den Endsieg. Aber wehe, wenn einmal. Leider sollte er recht behalten. Schade auch, daß der kühne Schlachtenlenker und Stabsadmiral Assauer schon so früh wegen überengagierter Anteilnahme ins Publikum zu den 60.000 Adjutanten mußte.
Ein Trompeter bläst hier nach Südstaatenart zur „Attacke“ – das gefällt mir. Sie singen: „Schlag drauf, wenn du Schalker bist.“ Und die Werbebanden marodieren. Partisanenkampf im Parkhöhen- Stadion. Zum Schlachtverlauf: Unter Führung des belgischen Legionärs Marc Wilmots, den sie „Willy das Kampfschwein“ nennen, rannten die Schalker Heere nimmermüde an. Immer über die Flügel mit beinahe caesarischer Sacktaktik („De bello gallico“): einkreisen, zusacken, plattmachen. Jawoll! Attacke! Besonders die rechte Flanke gefiel mir gut. Toll, wie der Latal marschiert ist im rechten Sumpf! Das lieben wir – da können sich unsere Weicheier-Wehrpflichtigen mal ein Beispiel nehmen! Im Dutzend schlugen die Angriffswellen gegen Mailands Abwehrriegel. Mordsschüsse, aber keiner fand sein Ziel. Das Gelände wie vermint. Inter wankte, obwohl es seine Truppen zu Saisonbeginn mit 128 Millionen Mark aufgerüstet hat. Welch ein Wehretat! Italien, du hast es gut! Insbesondere Inter- Oldie Bergomi, ein 34jähriger Untoten-Oberst, der sein ganzes Leben blutgrätschend verbracht hat, senste alles weg, auch so manchen Schalke-Krieger von den Beinen. Und zwar, wie unser strammer Fernseh-Uffz Faßbender immer sagt, ich bleibe dabei: vorsätzlich.
Genauso wie Simeone, der hinterhältige Front-Feldwebel und Vater aller Schlächter, mit dem martialischen Minimalhelm auf dem Schädel. Mailands Sturmtruppen hatten in der Konterattacke nichts zu bieten. Der gefährlich schwarzäugige Chilene Zamorano, den sie „Iwan der Schreckliche“ rufen, wirkt zwar wie ein blutrünstiger Ork der Kavallerie („Die Pferde gehen ab und zu durch mit dem aggressiven Brecher“ – Stadionzeitung, Copyright: unser Pressestab), kämpfte aber genauso feige, wie diese Memmen von Kriegsdienstverweigerern immer herumwinseln.
Aron Winter („der Totgesagte mit der Lizenz zum finalen Paß“) blieb mit „Pferdekuß“ gleich ganz zu Hause – an der Heimatfront hatte die feindliche Juve-Kavallerie zugetreten. Ronaldo, der Max Mulder Brasiliens, vor dem sie solche Angst hatten, wurde vom opferfreudigen Fähnrich Iiif Eigenrauch zum verlachten Statisten degradiert. Jawoll! Und wie! Mit List und Lust!
Endgültig munter wurde es, als die stehenden Reserveheere in die Schlacht zogen: Die listigen Schalker stationierten immer neue Stürmer im Inter-Strafraum. Klassischer Stellungskrieg vor Pagliuca, und er eskalierte. Bis zum letzten Blutstropfen kämpften sie für ihre Vaterstadt. Herrlich das. Jawoll! Mannhaft! Mit Todesmut, Leidenslust, Heldenhaftigkeit – fast wie 14/18. Die Mutter aller Abwehrschlachten hatte begonnen, als General Stevens seinen tollkühnen Nachrüstungsbeschluß faßte und seinen Torminator Michael Goosens aufs Feld der Ehre schickte.
Und tatsächlich, der Killer mit dem Lausbubengesicht zündet in der Nachspielzeit am Strafraumeck ein tolles Dumdumgeschoß. Als diese Granate im Tordreieck einschlägt wie eine Cruise issile in Bagdader Waisenheim 91/91, scheint Inter im Herzen getroffen. Das Blut troff. Wir jubeln. Krieg ist herrlich! Meinem Chef Volker wäre vor Freude sabbernd der Seiber aus dem Mund gelaufen. Ja, Verlängerung! Noch mehr Krieg! Die Stimmung war derart aufgeladen, daß zehn Minuten lang das Telekom-D1-Netz komplett zusammenbrach und die Kriegsberichterstatter auf den Tribünen die Kunde nicht in die Welt rufen konnten.
Doch die Aggressivität entlud sich anders: Ordnergruppen begannen sich mit Fotografen zu prügeln, bis Stadioniliz dazwischenging. Doch in der Verlängerungsschlacht stießen feige afrikanische Guerillasöldner zu. Als Schalke allein auf seine kampfesfreudigen Heere setzte, entschied sich der Inter-Duce Luige Simoni („Wir haben zwischendurch sehr gelitten“) hinterhältigerweise für die kühne Kombination Seekrieg mit Luftwaffe: Mit dem Einsetzen leichten Sprühregens schickte er Inters nigerianischen Marinekrieger Kanu in die Schlacht (der vollführte unfaßbar atemberaubende Dinge jenseits jeder körperlichen Konvention, wie man sie eigentlich von Versager Ronaldo erwartet hatte).
Dann plötzlich stieß Kanus nigerianischer Landsmann Taribo West als Jagdflieger zu und köpfte die Schalker mit dem 1:1 in den Tod. Ausgerechnet West. Wo sie doch auf „Go West“ ihre Schlachtgesänge vollbringen. Doch West war gekommen, nicht gegangen. Und die Null war gefallen, nach 933 Minuten. Oh Drama!
Am Ende sprach Feldherr 0. Thon, der kleine Haudegen, über seinen grandiosen Junker Iiif, dieses blonde deutsche Mannsbild und sein Duell mit diesem Rohrkrepierer Ronaldo: „Jedes Wort würde Iiifs Leistung nur schmälern.“ Ist das nicht herrlich heerlich?
Das lob' ich mir. Virtuos! Tapferkeit! Jawoll, Soldaten müssen gehorchen, zuschlagen und nicht viel reden. Hauptmann Thon, abtreten und weiter zutreten! Die Schlacht ist geschlagen, aber der Krieg geht weiter. Schalke, Schalke über alles. Sieg!
FC Schalke 04: Lehmann – Thon – Kurz, Eigenrauch – Latal, van Hoogdalem, Nemec (110. Müller), Büskens – Wilmots (82. Anderbrügge) – Eijkelkamp (78. Goossens), Max
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