: Wie sich Castor und Demokratie einmal ganz liebhatten Von Wiglaf Droste
„Genaugenommen ist Castor nur ein anderes Wort für Demokratie“, sagt der „Informationskreis Kernenergie“ in einer Anzeige in der taz. „Genaugenommen“ finde ich gut; was Wörter angeht, nehme ich es gern genau. Laut Fremdwörterduden bedeutet Castor griechisch-lateinisch „Biber“ und ist ein „weiches, langhaariges Tuch aus bestem Wollstreichgarn“. Das klingt sehr nett: Demokratie hat ein weiches Fell, und man kann sie streicheln. Ohne die Anzeige des „Informationskreises Kernenergie“ hätte ich das nie erfahren.
Schade ist nur, daß wegen der Demokratie Fußballspiele abgesagt werden müssen. Die Demokratie nämlich wird in einen Zug gesetzt und fährt durchs Land. Damit die Demokratie dabei nicht schmutzig wird, packt man sie vorher gut ein, in Castor-Behälter, laut „Informationskreis Kernenergie“ also in Demokratie-Behälter. Diese Demokratie-Behälter sind ganz sicher, damit niemand an den Inhalt herankommt. „Schließlich gibt es immer wieder Menschen, die ihnen besonders nahe kommen“, sagt der „Informationskreis Kernenergie“, und deshalb müssen die Behälter ganz fest verschlossen sein: weil es Menschen gibt, die der Demokratie zu nahe kommen. Und sie streicheln wollen. Wegen des weichen Fells. Aber das geht nicht. Man kann sich nicht einfach so an die Demokratie heranmachen und sie anfassen. Das ist ein kleiner Wermutstropfen.
Ganz nah an die Demokratie dürfen nur Leute heran, die dafür speziell ausgebildet wurden. Es sind Demokratiepfleger und -wärter. Abends, wenn alle Leute weg sind, lassen sie die Demokratie aus den Behältern, geben ihr Auslauf und leckere Sachen zum Essen. Manchmal füttern sie die Demokratie auch öffentlich. Dann werden Heringe hochgeworfen, und die Demokratie fängt sie auf und darf sie aufessen. Das ist lustig, und viele Leute schauen zu und haben Spaß an der Demokratie.
Die Demokratiepfleger werden schlecht bezahlt, aber dafür haben sie eine schicke Uniform an. Deshalb möchte jedes Kind Demokratiepfleger werden. Man bekommt auch eine Pistole und darf Befehle geben, „Weg da!“ und „Hier gibt es nichts zu sehen!“ oder „Treten Sie zurück!“ Das ist interessant, aber oft werden die Deomkratiepfleger auch mißverstanden. Dann sind sie traurig.
Wenn sie nach Hause kommen, wartet eine tapfere kleine Frau auf sie, die stolz auf sie ist, sich aber auch Sorgen macht. Die Demokratiepfleger legen die Füße hoch und erzählen von ihrem harten Los. Tagelang haben sie die Demokratie im Zug herumgefahren, um sie am Ende irgendwo einzukellern. Aber viele Menschen wollen die Demokratie nicht. Weil sie rückständig sind. Weil sie Angst haben und nicht glauben, daß die Demokratie lieb ist und nicht beißt. Dann müssen die Demokratiepfleger die Menschen verhauen und mit Wasserwerfern naßspritzen. Das tut den Demokratiepflegern selbst am meisten weh. Auch wenn ihnen das keiner glaubt. Aber die tapfere kleine Frau glaubt das. Sie weiß Bescheid und gibt dem Demokratiepfleger inneren Halt, wenn er müde ist und verzweifeln möchte, weil er für andere die Knochen hinhalten muß und weil das doch alles ganz sinnlos ist. Dann ist die tapfere Frau ganz lieb, und der Demokratiepfleger darf sie streicheln. Wie die Demokratie.
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