■ Berliner Verkaufsgespräche und Rachegedanken
: Kurz oder lang?

Früher war alles besser. Einfacher. Da konnte man vor einen Kiosk treten, eine Marke nennen, und bekam seine Schachtel. Wenn ich heute sage: „Einmal Camel“, ernte ich einen entgeisterten Blick: „Medium, light, normal – oder was?“ Wünsche ich Gauloises, heißt es: „Rot oder blau?“ Und denke ich mir, bei einer ehemaligen Ostmarke ist es vielleicht noch so wie im Westen früher, und verlange eine Club: „Kurz oder lang?“ Über kurz oder lang kriege ich noch einen Koller. Oder werde Nichtraucher.

Aber damit wäre es nicht ausgestanden. Meine Bäckerei zum Beispiel. Wenn ich etwa gern zwei Schrippen hätte und ein ZDF- Showbrot („lecker, locker und leicht wie der Nachmittag im ZDF“) und also von meiner täglichen Ration lebensnotwendigen Humors schon beträchtlich gezehrt habe, erhalte ich keineswegs einfach das Gewünschte. Sondern werde jedesmal gefragt: „Das wär's?“ – „ Außerdem?“ – „Darf's noch etwas sein?“ Oder: „Noch einen Wunsch?“ Als hätte ich mich nicht klar ausgedrückt. Am liebsten würde ich ranzen: „Brot her, Sie Arsch! Mein Wunsch ist, diesen Laden zu verlassen. Mit ihren ach so kultigen Ostschrippen, die die Müllhalde der Geschichte genauso verdient haben wie der Rest der Plaste und Elaste. Und diesem dämlichen ZDF-Brot, für das ich wohl noch dankbar sein soll, weil es kein RTL-Brot ist... Kommt wahrscheinlich noch. Aber ohne mich!“ Und dann die Türe klingelnd knallen. Oder man rächt sich (tagträumend):

ICH (arschfreundlich): Ein Brötchen, bitte.

VERKÄUFERIN (läßt Brötchen in kleine Papiertüte fallen): Noch einen Wunsch?

ICH (nachdenklich): Jaa... Noch ein Brötchen, bitte.

SIE (irritiert, das zweite Brötchen in die Tüte werfend): Das wär's?

ICH (harmlos): Mhm, och, ich nehm' noch eins.

SIE (schmeißt die zwei Brötchen und ein drittes in eine große Tüte, zerknüllt die kleine; fällt aus der Rolle): Sie, sie hamse wohl nich alle, wa?

ICH (wie erleuchtet): Stimmt! Ich hätt' gern noch ein...

SIE (außer sich): Rauuus!

ICH (arschfreundlich, ostberlinernd): Tschüssiii!

SIE (in meinem Rücken, stimmlos): Ditt, ditt is doch...

ICH (strahlend ab; sanftes Klappen und leises Klingeln der Ladentür).

Aber die Verkäuferin kann ja nix dafür. Weder für die Waren, die frisch aus irgendeiner Fabrik kommen, die ungeheuer weit weg sein muß, noch für die Brotnamen der Bäckereikette (...das Jürgen- Klinsmann-Brot war zum Glück vor meiner Zeit...), noch kann sie etwas für diese Fragen, die sie – wie alle anderen Angestellen des Einzelhandels – stellen muß. Also hauche ich höflich: Nein, danke. Und höre die Metastasen in der Bauchhöhle wachsen.

Darum lieb ich Supermärkte. Man schmeißt alles in den Wagen, braucht sich um Markennamen nicht zu scheren und bezahlt an Fließbandkassen, an denen Schweigende sitzen, denen selbst zum Freitod die Energie fehlt. – Stellen Sie sich nur einmal vor, die Erfindung des Supermarkts wäre ausgeblieben, welch tägliche Qual: mit von Natur aus geschwätzigen und virilen Tanten in ebensolchen Emma-Läden, abendgeschult von Verkaufstrainern und ausgestattet mit dem gesamten Wortschatz der Werbeindustrie, das kommerzielle Newspeak in der örtlichen Mundart modulierend...

Diese Horrorvision versöhnt mich dann doch mit dem Heute. Blau, bitte, hier, nein, da, danke. Was ist das schon? Sven Hillenkamp