■ Die Anderen: "La Repubblica" zur Bundestagswahl / "France-Soir", "Liberation" zum Papon-Prozeß
Das Ja zum Euro wird Kohl bei den Bundestagswahlen nicht viel nützen, meint „La Repubblica“ aus Rom: Daß Helmut Kohl die Bundestagswahlen am 27. September verlieren könnte, bleibt sehr wahrscheinlich: Das sagen Umfragen vorher, das läßt ein verbreiteter natürlicher Wunsch der Deutschen nach einer anderen Führung nach 16 Jahren vermuten. Und doch hat der alte Löwe jetzt zwei äußerst wichtige Siege an nur einem Tag an der Front errungen, die ihm am meisten am Herzen zu liegen scheint: der Kampf für den Euro und die feste Ankopplung des vereinigten Deutschland an die europäische Integration. Kohl macht sich keine Illusionen, daß er die Wahlen im Namen Europas gewinnen kann: Andere Themen, vom Alptraum der Arbeitslosigkeit bis zum Wunsch nach neuen Gesichtern, werden entscheidend sein. Gegen die Versuche der Euro-Skeptiker und seines Rivalen Schröder gelingt es dem Kanzler jedoch Schritt für Schritt, das Trauma des langen Abschieds von der D-Mark in einen schwierigen, aber normalen Prozeß voller Emotionen und Zweifel umzuwandeln, die nationale Währung aufzugeben – wie im restlichen Europa auch.
Die Pariser Boulevardzeitung „France-Soir“ kritisiert den Prozeß und das Urteil gegen den ehemaligen französischen NS-Kollaborateur Maurice Papon: Zehn Jahre! Das Urteil macht nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, daß die Beamten, die der Ausführung aller von der Besatzungsmacht aufgezwungenen Aufgaben zustimmten, einen doppelt mildernden Umstand hatten: Weil sie verhindern wollten, daß Deutsche mit noch größerem Eifer diese Aufgaben an ihrer Stelle übernehmen, und weil sie nichts über die Konsequenzen ihrer Handlungen wußten. Das ist im Endeffekt die einzige Erklärung für dieses halbherzige Urteil. Papon wußte nichts. Papon, der besser
als alle seine Landsleute plaziert war, kannte
nicht das Ziel der Züge, für die die unglücklichen Familien nur eine Hinfahrtkarte erhielten. Mit einem Wort, Papon ist für mangelnde Neugierde verurteilt worden.
Die Pariser Zeitung „Libération“ glaubt hingegen, daß der Papon-Prozeß Frankreich geholfen hat: Dank einer neuen Geschichtsschreibung hinsichtlich des Vichy-Regimes, dank Nachforschungen, des Willens der Überlebenden und dank eines sechsmonatigen Prozesses hat das heutige Frankreich akzeptiert, das Frankreich der 40er Jahre so zu sehen, wie es wirklich war: zumeist schändlich und zugleich, aber seltener, hochherzig und heldenhaft. Maurice Papon gehörte zu der ersten Kategorie, und die Justiz hat das nun bestätigt. Die Richter und Geschworenen in Bordeaux haben gezeigt, daß die Geschichte aufgehört hat, blind zu machen. Unser Land geht gestärkt aus der Sache hervor, weil es seine Ängste gebannt hat.
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