■ Die Lösung: Mehr Arbeit für andere – weniger Ärger für mich: Nieder mit dem Überbringer
Gern wird heute darauf hingewiesen, daß der Überbringer einer schlechten Nachricht nicht für die schlechte Nachricht verantwortlich sein muß beziehungsweise nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann. Der Überbringer ist nicht der Schuldige, sondern eben nur der Überbringer oder, um es nicht wieder allein den Männern in die abgelatschten Schuhe zu schieben, die Überbringerin. In früher alter Zeit aber, heißt es, sei der Überbringer einer schlechten Nachricht nicht nur verantwortlich und dingfest gemacht, sondern gelegentlich sogar für sein Betragen und Wirken getötet, ja umgebracht worden, weil er die schlechte Nachricht überbracht hatte.
Ich weiß nicht, wo man diese Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen kann, ohne tagelang in der Bibliothek zu sitzen. Aber vorausgesetzt, sie trifft zu, wäre angesichts des Mangels konkreter und überhaupt tauglicher Vorschläge für den Abbau der Arbeitslosigkeit zu überdenken, ob man nicht für eine Übergangsperiode diesen Brauch wieder einführen, die Tradition mit neuem Leben füllen sollte. Der Überbringer einer schlechten Nachricht – und sei es eine Frau – muß dran glauben. Einen Postboten, der die dritte Mahnung mit Zustellungsurkunde oder den Zahlungsbefehl bringt, den darf man abknallen. Das wird umgehend zu einer gewissen Nervosität bei den Zustellern und Zustellerinnen führen, aber bald darauf wird in diesem Berufsstand ein Umdenken einsetzen, das sich gewaschen hat und für beide Seiten von Vorteil ist. Ein Briefträger wird frühmorgens, wenn er die Tasche für seine Tour packt, sehr genau kontrollieren, was für Schreiben er im Sack hat, und tunlichst die aussortieren, die den Adressaten eindeutig bekümmern könnten. Allerdings – die SchlaumeierInnen haben es gleich gecheckt – würde durch diese Entwicklung der Effekt auf dem Arbeitsmarkt in kurzer Zeit verpuffen. Der Anstieg der Zahl der offenen Stellen würde abflachen und letztlich auf den alten Stand zurückfallen.
Dennoch bleiben weitere Berufszweige, in denen die Fluktuation mittelfristig zunehmen würde. Nachrichtensprecherinnen, die sachlich, aber chronisch von Kriegen und Katastrophen berichten, hätten ihr Leben verwirkt. Journalisten, die den neuesten Betrugs- oder wahlweise Korruptionsskandal aufdecken, müssen untertauchen, um von den Erwischten nicht erwischt zu werden. Wie paradox unser Gedankenexperiment ist, zeigt das Schicksal des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit – den Job würde niemand mehr machen wollen. Ich muß also zugeben: Das Ding ist noch nicht zu Ende gedacht. Aber bevor ich dazu komme – das ist doch klar –, wird der brillante und vergleichsweise bedenkenswerte Vorschlag in Gremien und Kommissionen und Ausschüssen ohnehin zerredet und verwässert und schließlich scheitern. Und morgen birgt der Briefkasten wieder jede Menge Mahnungen. Dietrich zur Nedden
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