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„Mensch, 14 Plätze sind das!“

■ Die DVU-Kandidaten haben sich im Hotel abgeschottet. Als die Hochrechnungen eintreffen, sind sie von der Höhe ihres Erfolges elbst überrascht

Als die erste Prognose in der ARD bekannt wird, schlagen selbst hartgesottene Politreporter die Hände vors Gesicht. 10 Prozent für die DVU. 13 Minuten später, die erste Hochrechnung läuft ins Bild, liegen die Rechten schon bei 10,6 Prozent. Nur mühsam behält der ARD-Reporter die Haltung: „Das Problem bedarf der Vertiefung.“ Ulrich Deppendorf ruft den Wahlforscher zu Hilfe. Er soll erklären, was bislang niemand verstehen kann.

Nur wenige Kilometer entfernt, am Rande des Flughafens von Magdeburg, sitzen die Männer der DVU bei Tee und Bier: „Hervorragend geht es mir“, sagt Dieter Kannegießer, der auf Platz drei der Landesliste steht, ins Telefon. „Endlich kommt mal ein bißchen Wind in den vertrockneten Landtag.“ Kannegießer ist 60 Jahre alt. Bei der ersten Prognose fällt alle Anspannung von ihm. Wenige Stunden zuvor, am Nachmttag, hatte er noch sehr angestrengt gewirkt. In einem Landhotel nahe beim Flugplatz hatten die Rechten zusammengehockt. Das ganze Hotel hatten sie belegt, an den Türen ließen sie sich von Leibwächtern bewachen, und nicht ein Wort wollten sie den Journalisten sagen.

Gerhard Frey, so ist zu erfahren, hat diese Anweisung gegeben, Millionensponsor der Partei und seit jeher ihr Vorsitzender. Drei Millionen Mark hatte die Partei schlagartig eingesetzt – das ist eine Million Mark mehr, als die SPD ausgegeben hat. Mit ihren Millionen und den Parolen wie „Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer“ und ihrer Kampagne gegen „kriminelle Ausländer“, schürte die DVU in einem Land Ängste, in dem es kaum Ausländer, aber viele Arbeits- und Mutlose gibt. Das Muster ist bekannt aus den Erfolgen in den West-Bundesländern, und es war wieder erfolgreich. Noch bei der letzten Wahl wählten nur 1,6 Prozent der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt rechts.

Frey hatte die Spitzenkandidaten der Partei zum gemeinsamen Bangen und Zittern gerufen. Aus dem Stand heraus zogen sie gestern abend in den sachsen-anhaltinischen Landtag ein. Wenn die Befragung von 8.000 Wählern nach ihrer Stimmenabgabe zutrifft, dann haben 27 Prozent derer unter 30 DVU gewählt – sie wäre in dieser Altersgruppe stärkste Partei.

Kaum ist die Zitterpartie kurz nach 18 Uhr vorüber, da präsentieren sich die nervös qualmenden Männer der Partei als starke Typen. Um viertel nach 6 hallt es durch die verwinkelten Gänge des Landtags: „Machen Sie den Weg frei für Herrn Frey.“ Der boxt sich zwischen seinen Leibwächtern in die Fernsehstudios hinein. Fragen auf dem Flur mag er nicht beantworten. Den Journalisten ruft er immer wieder zu: „Dies ist ein Sieg für die Dmeokratie, ein Sieg für den Parlamentarismus.“ Mehr kommt nicht aus ihm heraus. Schweißgebadet flüstern ihm seine Leibwächter die neuesten Ergebnisse ins Ohr: 12,1 Prozent. Die Männer von der DVU sind überwältigt. Kandidat Kannengießer: „Mensch, 14 Plätze sind das!“ 18 Kandidaten haben die Rechten zur Verfügung. Möglich, daß sie alle eingesetzt werden.

Kurz vor halb acht liegen sie schon bei 13,3 Prozent. Wo wollen die denn noch hin, fragt ein Journalistenkollege und reibt sich die Augen. Annette Rogalla, Magdeburg

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