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Trend geht hin zum Probejob

Es wird wieder eingestellt. Doch viele Firmen vergeben nur befristete Arbeitsverträge. Betroffen sind alle: vom einfachen Industriearbeiter bis hin zum Akademiker  ■ Aus Berlin Hannes Koch

Wie ein mittelständisches Unternehmen sich neue Arbeitskräfte aussucht, beschreibt Olaf Haase, Personalleiter der Willi Vogel AG in Berlin. „Gibt es offene Stellen, nehmen wir zunächst Leiharbeiter“, so Haase. Deren Beschäftigung werde auf ein Jahr befristet. Aus dem Reservoir der Leiharbeiter „rekrutieren wir danach neue Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag längstens auf zwei Jahre befristet ist.“ Dann erst entscheidet der Schmiermittelhersteller Vogel AG, wer in ein festes Arbeitsverhältnis ohne zeitliche Beschränkung übernommen wird.

Bei Neueinstellungen schlage das Unternehmen diesen Weg üblicherweise ein, sagt der Personalleiter. Denn er biete verschiedene Vorteile. „Bei Auftragsschwankungen ist es leichter, Personal abzubauen.“ Außerdem falle die eventuell notwendige Abfindung geringer aus, wenn das Arbeitsverhältnis befristet sei. Ein Betriebsrat der Vogel AG kennt einen weiteren Grund: Leiharbeit und Befristung wirkten als „doppelter Filter“, um aus der Zahl der ursprünglich eingestellten die besten Arbeitskräfte herauszusuchen. Motivation und Pünktlichkeit nähmen zu und die Krankenzeiten ab. Personalleiter wie Betriebsrat legen allerdings Wert auf die Feststellung, daß die befristeten Arbeitskräfte meistens auf feste Stellen übernommen würden.

Bei der Berliner Firma arbeiten regelmäßig zwischen 20 und 30 der 530 Beschäftigten mit zeitlich beschränkten Verträgen. Kein Einzelfall: Bundesweit griffen die Unternehmen inzwischen „flächendeckend“ zu diesem Mittel, schätzt Johannes Jakob, Arbeitsmarktspezialist beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Düsseldorf. Durch Befristung bei Neueinstellung werde schlicht die „Probezeit verlängert“, was die Beschäftigten zunehmend unter Druck setze. Den Gewerkschaften gilt dieses Phänomen nur als ein Mosaikstein der allgemeinen Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses durch Billiglohn, Leiharbeit und Scheinselbständigkeit.

Aufschluß über die Verbreitung von Monats- und Jahresjobs gibt eine Statistik der Zentralstelle Arbeitsvermittlung (ZAV) in Frankfurt/Main. So bekamen 1997 von 2.052 vermittelteten Ärzten immerhin 1.213 eine befristete Stelle. Von 1.017 Lehrern unterschrieben 424 einen Kurzvertrag, von 1.300 Biologen waren es fast 600. Diese Tendenz ist auch in anderen Branchen verbreitet. Zwischen 1988 und 1997 nahm die anteilige Vermittlung der Arbeitsämter auf Kurzzeitstellen von 38 auf 46 Prozent zu.

Das Statistische Bundesamt ermittelte derweil, daß der Anteil derjenigen, die ihren Lohn mit Zeitverträgen verdienen, von 10 Prozent 1995 auf knapp 13 Prozent im vergangenen Jahr (3,9 Millionen Beschäftigte) gestiegen ist. Eine Ursache: Im Oktober 1996 erlaubte die Bonner CDU-FDP-Koalition durch ihr Beschäftigungsförderungsgesetz, Arbeitsverträge auf bis zu zwei Jahre (vorher 18 Monate) zu befristen und innerhalb dieser Zeit dreimal zu verlängern. Am Ende des Vertragszeitraumes bedarf es keiner Kündigung – und das Personal ist wieder draußen.

Hans-Peter Klös vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IdW) erklärt die Logik dieser von ihm begrüßten Gesetzesänderung: „Der Marktaustritt regiert den Markteintritt.“ Soll heißen: Wenn ein Betrieb seine neueingestellten Leute ohne große Probleme loswerden kann, fällt es ihm leichter, zusätzliche Stellen anzubieten. Ob die gegenwärtige Aufstockung der Belegschaft nach jahrelanger Jobvernichtung gerade in Unternehmen der Elektro- und Metallindustrie freilich auf die Konjunktur oder in erster Linie auf die Flexibilisierung zurückzuführen ist, läßt sich kaum klären.

Tatsache ist: Es wird wieder eingestellt – häufig aber befristet. So gibt VW 90 Prozent seiner neuen MitarbeiterInnen nur Zeitverträge, Saarstahl 80, Osram und IBM 50 Prozent. Auch das Motorradwerk von BMW in Berlin stellte zuletzt vor allem vorübergehend ein. „Die allgemeine Geschäftsentwicklung war fraglich“, begründet Sprecher Dietmar Krohm. Als die neuen Modelle ausreichenden Absatz fanden, schenkte BMW den 150 Angeworbenen ein weiteres halbes Jahr.

Ein Schwerpunkt der neuartigen Befristung findet sich in den modernen Dienstleistungen. In den nordrhein-westfälischen Callcentern, die Telefonservice und Marktforschung für Firmenkunden übernehmen, arbeiteten beispielsweise „60 bis 70 Prozent“ der Angestellten mit Zeitverträgen. Das hat Jörg Wiedemuth, Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Düsseldorf aus den Ortsbezirken erfahren. „Dort gibt es keine gängigen Berufsbilder“, so Wiedemuth. Ob ihre Kandidaten zu tagelangen Telefonumfragen taugen, wollen die Unternehmen am liebsten längere Zeit ausprobieren. Auch viele Akademiker müssen sich mit befristeter Beschäftigung arrangieren. Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele: Wo große Nachfrage seitens der Firmen auf eine geringe Zahl von Bewerbern trifft, etwa bei den Informatikern, kommen Zeitverträge eher selten vor. Außerdem gilt nach DGB- Mitarbeiter Jakob die Faustregel: „Je qualifizierter der Arbeitsplatz, desto weniger Befristung.“ IdW- Ökonom Klös kennt einen weiteren Brennpunkt der Flexibilisierung. Bei jungen Leuten unter 30 sei eine Zunahme dieser Arbeitsverhältnisse zu verzeichnen. Dort dürfte der Wandel am unproblematischsten verlaufen, denn das Ideal einer Lebenszeitstellung erscheint vielen als völlig unzeitgemäß. Wichtiger ist demgegenüber oft die Möglichkeit, wenigstens für eine begrenzte Zeit Berufserfahrung zu sammeln.

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