: Untypische Fälle
■ betr.: „... sonst kommt die Frau B.!“, taz mag vom 2./3. 5. 98
Zugegeben – auch innerhalb der Pflegedienste sehen wir es manchmal mit einer gewissen Befriedigung, wenn die schwarzen Schafe der Branche geoutet werden. Gleichzeitig beobachten wir ohne großes Vergnügen, daß die Bemühungen der Krankenkassen, den Bereich der privaten Krankenpflege insgesamt zu kriminalisieren, dazu geführt haben, daß Enthüllungen über Negativbeispiele zum Running Gag werden, so daß in der Öffentlichkeit ein Bild entsteht, das erstens falsch ist und zweitens von den zentralen – von den Kassen maßgeblich verursachten – Problemen ablenkt.
Sicher, Fälle von menschlicher Häßlichkeit, von Unprofessionalität in Tateinheit mit Raffgier gibt es auch in unserer Branche – und wenn sie auftreten, sind sie empörender als anderswo, denn die geschädigten „Kunden“ sind Alte und Kranke. Aber diese Fälle sind untypisch. Unternehmer im Bereich der ambulanten Pflege sind Krankenschwestern und -pfleger, die sich selbständig gemacht haben und deren Berufsethos – oft genug ausgestattet mit einer reichlichen Dosis Helfersyndrom – ihnen dabei im Wege ist, bei der Führung ihrer Firma in Kriterien der Wirtschaftlichkeit zu denken. Wenn ein Patient sein Bett genäßt hat, wäscht man ihn und macht das Bett frisch, auch wenn man nur die Injektion bezahlt bekommt, für die man eigentlich gekommen war, und wenn ein jahrelang gepflegter Patient im Sterben liegt, sitzt man eben 24 Stunden daneben, auch wenn die Kassen nur drei davon bezahlen.
Wo nicht an Gutmenschentum grenzender Anstand der Antrieb ist, gewissenhaft zu pflegen, sind es die Kontrollen der Kassen, deren intern gesetzte jährliche Abschlußquoten in der Branche für reichlich Nervenflattern sorgen – nur wenige dürften heute noch so unbekümmert sein, zu Zeiten der Inquisition (wer einmal die Aufmerksamkeit der Vertragsabteilung erregt hat, ist so gut wie tot) in großem Stil gegen berufliche Standards zu verstoßen.
Das eigentliche Problem bei der ambulanten Versorgung ist die Zahl der pflegebedürftigen Patienten, die aus Kostengründen aus der Pflegeberechtigung herausdefiniert werden: Frau Müller, die schon ein wenig verwirrt ist und außerdem schlecht lesen kann, kann ihre Medikamente nicht mehr alleine nehmen, weil sie sie nicht auseinanderhalten kann. Da die Kasse aber unter Berufung auf richterliche Entscheidungen das Einnehmen von Medikamenten als „Nahrungsaufnahme“ definiert, ist deren Verabreichung keine Behandlungspflege – und wird nicht bezahlt. Pech eben. Der Beispiele sind viele.
Auch die Politik, im Bereich der Pflegeversicherung hohe Qualität zu fordern, aber die Vergütung gezielt so zu gestalten, daß nur ungelernte Hilfskräfte einsetzbar sind, macht die Umsetzung hehrer Ziele gelegentlich problematisch. Eine öffentliche Diskussion, die sich diesen Konstellationen zuwendet, statt sich auf das Nebengleis der Suche nach den schwarzen Schafen unter den Pflegediensten locken zu lassen, könnte hier nützlich sein. Tamara Constable, Berlin
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