piwik no script img

Allein unter Rhinozerossen

■ taz-Serie „Grenzgänger“ Teil 2: Der Nashorn-Verhaltensforscher Armin Rüttger-Conradt Von Silke Mertins

Wenn die Wildnis ruft, gibt es für den Elmshorner Tierforscher Armin Rüttger-Conradt kein Halten. Seit 15 Jahren sind die Nashörner „seine“ Tiere. „Diese urigen Dickhäuter, bei deren Anblick man sich in die Zeiten der Dinosaurier zurückversetzt fühlt, sind faszinierend. Wenn man ganz nah dran ist und die vielen Falten sieht, die Augenwülste, die kleinen Knopfaugen und das massige Horn...“ Keine Frage: Armin sind die Nashörner tierisch ans Herz gewachsen.

Auf den Rhino gekommen ist der 38jährige Verhaltensforscher eher zufällig: Als junger Student paddelte er in einem Einbaum auf dem Kongo herum, um Frösche zu sammeln. Auf einem Abstecher in den zairischen Garamba-Nationalpark stellte er fest, daß von den nördlichen weißen Nashörnern statt Hunderte nur noch 45 übrig waren. Höchste Alarmstufe bei den Tierschützern. Drei Jahre später brach Armin mit Feldstecher und Notizblock bewaffnet selbst auf, um sich mit zwei zairischen Wildhütern – Bali und Damma – auf die Suche nach den vom Aussterben bedrohten Rhinos zu begeben.

„Die 20 bis 25 übriggebliebenen Nashörner liefen einsam und alleine durch die Savanne“, erzählt Armin. Und er und die beiden Wildhüter immer hinterdrein: „Wir suchten ihre Spuren – Bali und Damma sind phantastische Fährtenleser –, versuchten sie zu beobachten, notierten ihre Wanderwege, ihre Ruhezeiten und ihr Verhalten, wenn sie auf andere Tiere trafen.“ Einmal ist zum Beispiel ein Rhino fast mit einem Warzenschwein zusammengestoßen. „Das Nashorn aus dem Fluß, das Warzenschwein aus dem Busch. Die drehten sich ein paar Mal umeinander und gingen dann wieder ihrer Wege.“

Und auch artenübergreifende Tierverständigung konnte in Garamba beobachtet werden: „Vor lauter Einsamkeit hat sich ein weißes Nashorn einer Elefantenherde angeschlossen. Die Elefanten duldeten, daß der Rhino, der sich offenbar danach sehnte, sich in einer Gruppe zu bewegen, mit ihnen auf Wanderschaft ging.“

Die Nashörner als solche, so stellte der Verhaltensforscher fest, ähneln sich überhaupt nicht wie ein Ei dem anderen. „Da gibt es Sanfte und Aggressivere, es gibt Freundschaften, andere wiederum mögen sich überhaupt nicht.“ Das in der freien Wildbahn zu beobachten, erfordert viel Geschick und noch mehr Erfahrung. Denn: anschleichen, in Deckung bleiben, gegen den Wind pirschen, um nicht gewittert zu werden – all das will gelernt.

Armin Rüttger-Conradt hat damit früh angefangen, zuhause in Elmshorn, wo seine Familie ein Stück Sumpf-und Moorgundstück mit einem Birkenwäldchen besitzt. „Ich war mit 12 Jahren mächtig stolz darauf, bis auf fünf Meter an Rehe heranzukommen, ohne bemerkt zu werden. Einmal wollte ich noch näher ran und wurde entdeckt. Spontan bin ich auf allen Vieren wie ein Frosch herumgehüpft. Die Rehe waren so erstaunt, daß sie stocksteif stehen blieben und mich anstarrten.“ – Armins Schlüsselerlebnis, das ihn von Elmshorn bis zu den Nashörnern brachten.

Wenn nur das Wegrennen nicht wäre. Denn ob Nashorn oder Büffel, ob Giraffe oder Warzenschwein, wer den Geruch des Menschen in die Nase bekommt, nimmt alle vier Beine in die Hand und sucht das Weite. So geraten Antilopen, wenn sie ihre Todfeinde, die Löwen, sehen – und sei es in ein paar Dutzend Meter Entfernung – überhaupt nicht in Panik. Sie wissen, daß nur dann Gefahr im Verzug ist, wenn der Löwe sich anschleicht und nicht zu sehen ist. Ein Mensch aber löst immer die Massenflucht aus. „Das gibt einem das Gefühl, als gehöre man als Mensch nicht zur Natur, als sei man von dieser Harmonie ganz speziell als Spezies Mensch ein Ausgestoßener: Das ist ein brutales Gefühl, das einem wirklich zu denken gibt.“

Aber die Sehnsucht bleibt. Drei Jahre später erfüllte sich Armins Traum. In einem Wildreservat in Südafrika lebte er mit einem Rudel Rhinos, die – obwohl freilebend – an Menschen gewöhnt waren. „Ich hab es genossen, unter Nashörnern zu leben ohne immer Angst haben zu müssen, entdeckt zu werden.“ Die Nashörner akzeptieren ihn als merkwürdiges, aber harmloses Lebewesen. „Die wußten natürlich, daß ich kein Nashorn bin.“ Und das war so beeindruckend, daß Armin bis heute die Worte fehlen. „Man muß es einfach selbst erlebt haben.“

Ist man eigentlich nicht einsam, so allein unter Nashörnern? „Im Gegensatz zu Zaire, war ich in Südafrika alleine unterwegs, aber nicht wirklich. Die Tiere sind ja da, und es tut sich immer etwas; hier springt ein Büffel aus dem Schlamm, dort tauchen Giraffen auf – all das lenkt einen dermaßen ab, daß man sich nie einsam fühlt.“

Wer Nashorn-Pate werden will: Komitee zur Rettung der letzten Nashörner Afrikas, Philosophenweg 4, 25335 Elmshorn

3. Teil: „Von Johannes zu Johanna“ – Portrait eines Transsexuellen, am Dienstag, dem 1. August

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen