: Zeugenschutz
In fast allen Bundesländern werden die illegalen Zwangsprostituierten abgeschoben, bevor es überhaupt zum Prozeß gegen ihre Peiniger kommt. Daß die Thailänderin Sang Boachan (siehe Reportage) im Prozeß aussagen konnte, liegt am Berliner Modell. Dieses sieht vor, daß illegale Zwangsprostituierte, wenn sie aussagen wollen, nicht sofort abgeschoben werden, sondern für die Dauer des Verfahrens geduldet werden.
Einen generellen Abschiebestopp mit weitergehenden Schutzmaßnahmen haben nur Sachsen- Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erlassen. Wer bereit ist, im Prozeß gegen die Menschenhändler auszusagen, erhält für die Dauer des Verfahrens eine über den Abschiebeschutz hinausgehende Aufenthaltsduldung. Frauen, bei denen eine Gefährdung durch die Täter oder Hintermänner zu befürchten ist, werden zudem in das Zeugenschutzprogramm der Länder aufgenommen. Sie bekommen eine neue Identität, werden vom Landeskriminalamt betreut und leben bis zum Prozeß an unbekanntem Ort.
Nordrhein-Westfalen war das erste Bundesland, das 1990 einen mindestens vierwöchigen Abschiebeschutz für Frauen einführte, die von Menschenhandel betroffen sind. Zudem sind Polizei und Ausländerbehörden in Nordrhein- Westfalen per Erlaß dazu verpflichtet, den betroffenen Frauen Kontakte zu Beratungseinrichtungen zu vermitteln.
Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es inzwischen acht Beratungsstellen, die den Opfern weiterhelfen. Die Mehrheit der Frauen, über 90 Prozent, kommt allerdings nicht mehr aus Entwicklungsländern, sondern aus Osteuropa.
Kritik an dem nordrhein-westfälischen Modell üben Bündnis 90/Die Grünen. Marianne Hürten, frauenpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion in NRW, moniert: „Ein großer Teil der betroffenen Frauen erhält auch in Nordrhein-Westfalen keinen staatlichen Schutz.“ Würden Frauen etwa bei einer Razzia in einer Bar aufgegriffen und verweigerten zunächst eingeschüchtert die Aussage, sei es für die Polizei schwierig, die für den Erlaß erforderlichen „konkreten Tatsachen“ zu ermitteln. Hürten plädiert daher dafür, daß bereits ein „konkreter Verdacht“ auf Menschenhandel für den vierwöchigen Abschiebeschutz genügen sollte.
Bundesweit gibt es keinen einheitlichen Abschiebeschutz für Opfer von Menschenhandel. Den forderte Ende April die Bonner FDP-Fraktion. Die frauenpolitische Sprecherin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, die Regierung habe in diesem Bereich noch immer nicht „ihre Hausaufgaben“ gemacht. Da in vielen Fällen die Opfer vor Beginn des Verfahrens abgeschoben würden, könnte nur ein Drittel der Täter auch tatsächlich verurteilt werden. Die Zahl der offiziell bekannten Opfer ist seit 1991 stark gestiegen – von 171 auf 1.473 im Jahr 1996. bara/me
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