■ Die Anderen: "Pravo", "Lidove noviny", "Mlada fronta Dnes" zu Stoibers Rede auf dem Sudetendeutschen Tag / "Zycie" zur Aufhebung der Benesch-Dekrete
Die linke Prager Tageszeitung „Pravo“ wertet Stoibers scharfe Töne auf dem Sudetendeutschen Tag als Wahlkampfgetöse: Stoiber hat auf den „Sudetendeutschen Tagen“ immer schon gesagt, was die Anwesenden hören wollten. Diesmal gehörte dazu, daß Bonn die deutschen Interessen nicht verteidigt und daß nur Bayern die Interessen der vertriebenen Deutschen und Deutschlands vertritt. Die CSU bestimmte die diesjährige Veranstaltung und machte aus ihr eine Vorwahlkampagne. An den „Sudetendeutschen Tagen“ nehmen viele aus nostalgischen Gründen teil – und einige selbstverständlich auch, um neue Hoffnung für eine Rückkehr nach Böhmen und eine Entschädigung zu schöpfen. Solche Vorstellungen könnte man nach Stoibers Rede tatsächlich haben. Allerdings sollte man es auch nicht überbewerten. In Vorwahl- zeiten versprechen Politiker so allerlei.
Das eher konservative Prager Blatt „Lidove noviny“ sieht Stoibers Rede ähnlich: Stoibers scheinbare „Brandrede“ zum Thema Vertreibung steht im Zusammenhang mit der Vorwahlzeit: Mehr als vorher geht es diesmal um jede Wählerstimme, denn die obligatorische, absolute CSU-Mehrheit ist bedroht. Die Sudetendeutschen und ihre Nachkommen sind als Wähler zu attraktiv, um unbeachtet zu bleiben, und Stoibers Auftritte sind bekannt für kalkuliertes Pathos und spontane Einschübe.
Auch die liberale „Mlada fronta Dnes“, ebenfalls aus Prag, sieht keinen Grund zu größerer Aufregung: Über dem „Sudetendeutschen Tag“ lag ein Schatten des Widerspruchs: Edmund Stoiber und der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Franz Neubauer, vertraten ganz unterschiedliche Positionen zu der deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung. „Die Erklärung brachte bedeutende Fortschritte“, sagte Stoiber. Im Gegensatz dazu bekräftigte Neubauer, daß sie in seinen Augen nur ein Stück Papier bleibt. Gleichwohl stand der „Sudetendeutsche Tag“ auch diesmal eher im Zeichen der Folklore und der Erinnerung an die ehemalige Heimat. Durch das Nürnberger Messezentrum spazierten Menschen in Tracht, sie tranken Bier und tanzten.
Die rechte polnische Zeitung „Zycie“ fordert von Prag die Aufhebung der Benesch-Dekrete: Hinter ihrer Vertreibung der Sudetendeutschen stand die wenigstens theoretisch unabhängige tschechische Regierung und Staatspräsident Benesch. Es wäre schwierig, die Vertreibung allein der Sowjetunion in die Schuhe zu schieben. Die Tschechen stellen sich heute hinter ihre eigene souveräne Staatsmacht, wenn sie die Benesch-Dekrete verteidigen. Wahrscheinlich kann sich Tschechien finanziell nicht leisten, die Dekrete aufzuheben. Kann sich aber Prag nicht wenigstens dazu durchringen, diese Dekrete zu verurteilen?
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