piwik no script img

Mit Vorsicht zu neuen Hörhorizonten

■ Christoph Eschenbach, der neue Chef des NDR-Sinfonieorchesters, macht beim Bremer Konzertzyklus Schluß mit dem Musiksammelsurium

on den zahllosen Pianisten, die die Klavierbank allmählich mit dem Dirigentenpult vertauscht haben, bildet der 1940 geborene Christoph Eschenbach eine Ausnahme: Er bezog von Anfang an das Dirigieren in seine Ausbildung mit ein und absolvierte sogar ein vollständiges Studium. Seit über 25 Jahren dirigiert er erfolgreich, und nun hat ihn das NDR-Sinfonieorchester als künstlerischen Leiter ab 1998 verpflichtet. Außerdem wird er ab 1999 die Leitung des durch Justus Frantz am Ende arg ramponierten Schleswig-Holstein-Musikfestivals übernehmen. Mit Bremen verbinden ihn, so sagte er in der Pressekonferenz anläßlich der Vorstellung des NDR-Orchesterzyklus 1998/99, „eine besondere Erinnerung: Hier habe ich nämlich im Alter von neunzehn Jahren fürchterlich aufgeregt mit dem Philharmonischen Orchester gespielt“. Mehr noch freut ihn das bremische Interesse an der Weiterführung des Orchesterzyklus des NDR Sinfonieorchesters, das er für „ein Weltklasseorchester“ hält.

Damit ist neben dem Philharmonischen Staatsorchester und der Deutschen Kammerphilharmonie ein weiteres Orchester regelmäßig in der Stadt, was die Hörhorizonte des Publikums nur erweitern kann. Allemal, wenn man aufs Programm schaut, das kein Sammelsurium, sondern eine Konzeption präsentiert. Eschenbachs Idee, sich in der Moderne zu engagieren, sich „ganz weit in die Neue Musik zu wagen“, basiert auch auf einer künstlerisch-moralischen Verpflichtung: „Wir müssen ständig arbeiten am neuen, lebendigen Kunstschaffen“. Diese Emphase findet in diesem Programm allerdings noch einen – milde gesagt – vorsichtigen Niederschlag.

Denn mit der vorgesehenen Konfrontation Arnold Schönberg/Anton Webern/Bela Bartók mit Wiener Klassik kann man ja nicht unbedingt von Neuer Musik sprechen. Auch nicht beim jüngsten Stück, dem Violakonzert von Alfred Schnittke, der das Hören eher angenehm macht.

Aber die Zusammenstellung ist immerhin ein Anfang, der das dennoch außerordentlich interessante Programm besonders durch das Niveau der anderen Dirigenten und der Solisten reizvoll machen dürfte. Wenn Christian Tetzlaff Schönbergs Violinkonzert spielt und Kent Nagano „Pelleas und Melisande“ dirigiert, wenn Kim Kashkashian Schnittkes Violkonzert spielt, dann sind die drei sicher GarantInnen für überragende Interpretatationen genau dieser Stücke.

Das erste und das letzte Konzert wird Christoph Eschenbach dirigieren – mit einem Schönberg/Beethoven- und einem Webern/Mozart-Konzert: „Damit möchte ich die Ohren für Alte Musik öffnen“.

Das zweite leitet der Japaner Kent Nagano, dem wir ein großartiges „Klagendes Lied“ von Gustav Mahler in der letzten Saison verdanken – ebenfalls Schönberg/Beethoven. Der Chefdirigent des Radio Sinfonie-Orchesters Frankfurt Hugh Wolff interpretiert Schnittke, Bartk und Haydn, und unter der Leitung des Amerikaners John Nelsson erklingt Antonn Dvorks „Stabat mater“.

Was auffällt, ist der Rückzieher des Orchesters in Bezug auf die Größen der historischen Aufführungspraxis. Immerhin hat John Eliot Gardiner von 1991 bis 1994 das Orchester geleitet. Danach gefragt, antwortet Eschenbach eher mit einem großen Fragezeichen. Was Harnoncourt sagte, habe er auch schon von George Szell gehört, und ohnehin sei ja „eben einfach nicht klar, was historisch nicht und was nicht“. Dem kann ich nicht so ganz zustimmen, wohl aber, daß Dirigenten von Weltrang aus dieser „Szene“ an einer Hand abzuzählen sind.

Jedenfalls möchte der Zyklus nach Aussagen des KPS Konzertbüros und der Glocke Veranstaltungs GmbH eine „Herausforderung“ (Ilona Schmiel) sein. Da auch besondere Preisgestaltung für Schüler und Studenten entwickelt wird, stehen die Vorzeichen dafür gut. Ute Schalz-Laurenze

Das Eröffnungskonzert des Zyklus findet unter Eschenbachs Leitung am 31. Oktober um 20 Uhr in der Glocke statt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen