„Mach's doch selber besser“

■ Gerd Albrecht, Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, wird heute 60 Jahre alt

Er war immer der Jüngste. Jetzt ist er doch 60 Jahre alt geworden: Gerd Albrecht, Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie. Heute, am 19. Juli, feiert er Geburtstag.

Gerd Albrechts Werdegang folgte keinem vorgezeichneten Weg. Zwar war die Mutter Pianistin und auch der Vater, ein Musikwissenschaftler, wünschte sich seinen Sohn am Klavier. Doch daß der früheingeschulte Klassenüberspringer einmal Dirigent wurde, ist eher einer „kindischen Trotzhandlung“ zuzuschreiben. Teenager Gerd kritisierte nämlich einen unfähigen Musiklehrer, und der habe ihm, wie der erwachsen gewordene Teenager später gerne kolportiert, barsch geantwortet: „Mach's doch selber besser.“ So gründete der 15jährige eben einen Chor – und hatte seinen Beruf gefunden.

Er war der jüngste GMD Deutschlands

Albrechts Karriere verläuft zügig und stetig. Ein Stipendium bringt ihn Ende der 50er Jahre zu Karajan. Der rät ihm nicht nur, sein Studium abzubrechen, sondern auch, zur Oper zu gehen. Obwohl der ehrgeizige junge Mann „die Oper verachtete und Sänger für Untiere hielt“ und sich viel lieber der reinen Musik widmen wollte, wird er 1958 Solorepetitor an der Staatsoper in Stuttgart.

1961 ist er Kapellmeister in Mainz und mit 26 Jahren Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor (GMD) in Lübeck. Am Staatstheater Kassel hat er seine letzte Provinzverpflichtung. 1972 wird Albrecht Chefdirigent an der Deutschen Oper Berlin. Fünf Jahre leitet er das Züricher Tonhalle-Orchester, die Zusammenarbeit endet unfreundlich, zu viele Änderungen hatte der Deutsche dem Apparat abverlangt. Anfang der 80er Jahre dirigierte Albrecht ohne festes Engagement an den großen Opernhäusern und nahm Schallplatten auf.

Seit Ende 1985 teilt sich Albrecht gemeinsam mit Peter Ruzicka die Nachfolge von Liebermann, Dohnanyi, Zender als Geschäftsführer der Hamburgischen Staatsoper. Als deren GMD ist er darüber hinaus auch für die philharmonischen Konzerte zuständig.

Das musikalische Band, das Gerd Albrecht beansprucht, ist breit und reicht von der Moderne bis zur Barockoper, von den vergessenen Werken Spohrs und Massenets bis zu den Klassikern. Besonders für Schreker, Hindemith, Krenek, Reimann, in jüngerer Zeit auch die Theresienstadt-Komponisten wie Viktor Ullmann oder Gideon Klein, setzte sich Albrecht ein. Einen „Michael-Kohlhaas-Komplex“ diagnostiziert er sich, „ein extrem entwickeltes Unrechtsbewußtsein“, das die unverdiente Unbekanntheit dieser Künstler nicht dulden kann. Außerdem sei es „eine Pflicht, sich den Zeitgenossen zu stellen“.

Wohin der Vater zweier Töchter auch kam, er veranstaltete Gesprächskonzerte. Das war schon in Lübeck so, wo er mit diesem Mittel dem Publikum die Klangwelt Ligetis erschließen wollte, so ist es noch heute in Hamburg, wo er lehrreiche Konzerte für Kinder und das Fernsehen veranstaltet. Albrecht glaubt an die pädagogische Mission: „Ein Publikum ist immer so offen, wie es gefüttert wird.“ Das junge Publikum sei ihm das liebste, weil es, so Albrecht, direkt und unverdorben reagiere. Und eine einfühlsame Musikerziehung schafft das kompetente Publikum von morgen.

Albrecht versucht den Spagat

Sind die musikalischen Qualitäten Albrechts auch nicht immer unumstritten geblieben, man denke etwa an den Walküre-Einbruch: In den Jahren seiner Kointendanz hatte die Hamburgische Staatsoper stets den Ruf als eines der ersten Häuser Deutschlands, auch für moderne Aufführungen, genossen. Inszenierungen wie Fausts Verdammnis (1988), Die Schatzgräber (1989), Idomeneo (1990) und der Ring mit Regisseur Günter Krämer sorgten weithin für Beachtung.

Nachdenklich stellt der GMD sich dennoch die Frage nach der Zukunft der staatlich subventionierten Oper: Ist sie ein spätbürgerliches Relikt, an dem sich eine genußorientierte Oligarchie delektiert, oder kann sie breiten Bevölkerungsschichten zeitgemäße Kultur bieten? Und er versucht den Spagat zwischen Repertoirestücken und Abstechern in unbekannte, neue musikalische Gefilde. Andererseits hatte der GMD die letzten, geplanten Eintrittspreis-Erhöhungen mitzuverantworten. Sie hätten die billigen Ränge getroffen und mithin die En-thusiasten und Musikinteressierten mit kleiner Geldbörse, mußten aber in letzter Minute zurückgenommen werden.

Neben seinen Hamburger Verpflichtungen übernahm der „politisch sehr bewußt lebende Humanist“ (Albrecht) vor zwei Jahren den Chefposten der Tschechischen Philharmonie, auf Wunsch des Orchesters. Die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen, als erster Ausländer – noch dazu Deutscher – die Leitung „eines der Edelsteine des früheren Ostblocks“ in Tschechien zu übernehmen.

Tatsächlich war Albrecht von Anbeginn offenen und verdeckten Angriffen, vornehmlich aus nationalistischen Kreisen, ausgesetzt. Den langen Streit von Prag stand er mit dem ihm eigenen Selbstbewußtsein durch: „Die Intrigen haben nur zum Ziel, daß ich hinwerfe. Aber ich denke nicht daran!“

Für den Bewunderer Bruno Walters, Klemperers und Furtwänglers ist der gute Dirigent ein Darsteller der Musik. Neben dem Handwerk ist für ihn deshalb Charisma eine notwendige Eigenschaft. Und er sagt: „Man muß eine Form narzißtischer Selbstliebe haben, sonst kann man den Beruf nicht ausüben.“ 1997 läuft Albrechts Vertrag in Hamburg aus. Als sein Nachfolger wird Ingo Metzmacher in die Hansestadt kommen. Albrechts Kommentar klingt gar nicht traurig: „Auf diesen Positionen braucht man immer wieder frisches Blut. Es gibt viele Menschen, die an diesen Sesseln der musikalischen Macht kleben. Mich lockt das nicht mehr. Ich werde kein Festengagement mehr eingehen.“

Hilmar Schulz