■ Die Anderen: "Liberation", "The Times" und die "Salzburger Nachrichten" schreiben zum EU-Gipfel / Zur Rezession in Japan schreibt das französische Blatt "La Tribune"
„Libération“ aus Paris schreibt zum EU-Gipfel in Cardiff: Die Europäische Union ist wie ein Boxer nach dem Kampf. Angeschlagen. Sechs Jahre lang hat sie für den Wettlauf um die Einheitswährung alle Kräfte mobilisiert. Mit der Qualifikation von 11 der 15 Länder ist das Rennen in der vom Maastricht-Vertrag vorgesehenen Zeit am 1. Mai zu Ende gegangen. Das ging nicht ohne Opfer, nicht ohne Verzicht, nicht ohne Schmerzen. Deshalb macht die EU im Augenblick eine Verschnaufpause. Derzeit hat sie keinen Kopf dafür, mit der Arbeit auf neuen Baustellen zu beginnen. Deshalb wird der EU-Gipfel von Cardiff ein ,Pausengipfel‘ sein. Zum ersten Mal seit langer Zeit ist keine wichtige Entscheidung zu erwarten.
Mit dem EU-Gipfel in Cardiff und den deutschen Forderungen nach geringeren Zahlungen an Brüssel befaßt sich die „Times“: Tony Blair wird in Cardiff die Rolle des geduldigen Vorsitzenden spielen, während Kohl vorgibt, ein enttäuschter Anti-Föderalist zu sein. Aber Kohl stellt die Europäische Kommission – und nicht das europäische Ziel – in Frage. Der föderalistische Drachen ist aus der Europäischen Union nicht verschwunden. Eins kann Blair aber von der vorübergehenden Skepsis des Kanzlers lernen: Die Verfolgung nationaler Interessen – selbst in Isolation – ist eine absolut legitime Praxis. Dabei ist es durchaus erlaubt, es gegenüber den Partnern an Offenheit fehlen zu lassen.
Die „Salzburger Nachrichten“ schreiben über die deutsche EU-Politik: Die Deutschen sind drauf und dran, ihren europapolitischen Kurs zu ändern. Bisher waren sie die wirtschaftlichen Vorbilder und die mutigsten Fürsprecher der europäischen Einigung. Das wird nun anders. Die jüngsten Ärgernisse: Gegen Widerstand der Deutschen wurde im Ministerrat das Tabakwerbeverbot beschlossen. Die gröbsten Verstöße gegen EU-Wettbewerbsrecht ahndet Karel van Miert derzeit in Deutschland. Soll man sich das bieten lassen? Soll man sich von den Besserwissern in Brüssel erst das Geld aus der Staatskasse ziehen und dann dauernd in die Wirtschaftspolitik spucken lassen? So emotionsgeladen redet freilich kein hoher Politiker in aller Offenheit. Nobel und höflich ersucht man daher: Diskutieren wir doch nüchtern über Subsidiarität!
Zur Rezession in Japan schreibt das französische Blatt „La Tribune“: Was für eine Starre hat bloß Japan gepackt? Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist zum schlechtesten Schüler in der Klasse der industrialisierten Länder geworden. Denn die Rezession, in der sich das Reich der aufgehenden Sonne gefangen findet, hat nichts Überraschendes. Es befindet sich auf einem Abwärtskurs, der radikale Maßnahmen erfordert. Doch die haben Tokio stets zurückweichen lassen – denn Tokio kümmert sich nicht um die globalen Auswirkungen seiner Krise.
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