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Mon Dieu MondialBut à Buxy

■ Knoblauchwurst statt Okocha und andere Urlaubsüberraschungen im WM-Land

Urlaubsbesuch in Frankreich in diesen Tagen: ein Land im WM-Rausch? Die Franzosen voll auf Fußball? Unsinn. In diesem traditionellen Nichtfußballand radelst du rund um die Achtelfinalserie durchs Burgundische und hast manchmal Mühe, zur Anstoßzeit ein sendebereites TV zu finden.

Es begann in Le Pont de Pany bei Dijon am Canal de Bourgogne. Hotel: gut, Wein: sehr gut, Glotze: Non! „Pas de Fut!“ Nix mitte Füße, lacht die Bedienung. Am nächsten Spieltag in St. Romain ist der Wein noch besser, und die mürrische Chefin stellt sogar ein Gerät für Italien und später Brasilien neben die Rezeption. Sie verzweifelt an der Computer-Jahresabrechung mit Bill Gates' „des Fenêtres quatre-vingt-quinze“. Der TV-Reporter erzählt was von langen Bällen (“longs ballons“) und geißelt das „petit-petit“, Kleinkleinspiel.

Hätte er „LiTell, LiTell“ gesagt, hätte uns das auch nicht gewundert. Denn in Ermangelung eigenständigen Fachvokabulars kuschelt sich die Grande Nation meist ans Originär-Anglophile: Elfmeter: le penalty. Schuß: le shoot. Spiel: le match. Eckball: le corner. In landestypischer Aussprache, versteht sich. Selbst beim Einwechseln denken sie ans Essen, (der Spieler läuft sich auf der baguette – Umrandung – warm), und Doppelpaß ist niedlicherweise ein Eins- Zwei, übersetzt: une-deux. Dann: „Le mur est composé“ – die Mauer wird komponiert! Und das Allerheiligste, nämlich das Tor, wissen sie mit „le but“ nicht mal landeseinheitlich auszusprechen: Die einen sagen „Bü“, die anderen „Büt“. Wundert es einen da noch, daß die Franzosen sogar glauben, die immergleiche mimiklose Platini-Puppe auf all den WM-Tribünen sei echt!?

Zum Frankreich-Spiel gegen Paraguay sind wir in Buxy, im Herzen Burgunds, Café du Centre. Versammelt sind ein paar teilnahmsarm dreinblickende Stammgäste, die örtliche Fußball-A-Jugend und eine Zockerrunde von vier zusammen mindestens 300 Jahre alten Alten. Der Fernseher schnurrt teilnahmslos leise, das Spiel läuft, die Alten legen sich die Karten. Torchancen, Aufregung, Reporterkreischen – wer gibt? Abschätziger Blick Richtung elektronischer Störenfried, alle Mundwinkelklischees mit Gitanes-Stummeln bestätigend.

Vor der Verlängerung beginnen sogar die Nachwuchskicker Karten zu spielen. Die Alten glauben an den Schlußpfiff, einer guckt ganz ungläubig, als es noch mal losgeht. Wir dagegen sind ganz aufgeregt: Kinder, hier droht das erste Golden Goal der WM-Geschichte! Womöglich geht La Grande Nation unter!! Chilaveeert! Als Laurent Blanc glücklich d'or butiert, hüpfen alle einmal auf, zahlen und gehen heim. Die Alten haben endlich ihre Ruhe. Wer gibt, Charles? François, du kommst! Oui, Jean-Jacques. Deutschlands Stahlwerk-Fußball erleben wir in einer Hotellobby mit einer gebürtigen Haitianerin, die bei allen Fouls in Zeitlupe Lachanfälle bekommt.

Anders ist es nur bei Annick Gautier in St. Vallerin, gar nicht weit von Buxy. Die gebürtige Bretonin führt ein zauberhaftes altes Gutshaus und Kulturzentrum „Le Pinacle“, märchenhaft schön. Wir fragen nach Nigeria –Dänemark. Eine TV? Unsinn, lacht Annick, die Cellistin, in ihrem Schwyzerdütsch-Singsang. Wir wagen es ohne. Es geht. Und wie: Spaziergang im Park statt Ikpeba, kecke Siebenschläfer-Auftritte im Hof statt fummelnder Laudrup-Brüder, Knoblauchwurst statt Okocha. Und zur paradiesischen Stimmung reichlich vom betörenden 94er Montagny Grand Cru.

Zum Menu-Ende fragt Annick tatsächlich: „Haben Sie fertig?“ Wir lachen heftig und wissen gleich: Fußball ist überall, auch da, wo er nicht ist. Bernd Müllender

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