: Am Ende fast ein Kuß
■ Akte X goes cinema. Scully und Mulder kommen sich im Kino näher als im Fernsehen. Der Film zur Kult-Serie und die Angst vor dem Ungewissen. Konspiratives Marketing inklusive
Zum Filmstart drängt sich wieder das Dekolleté der Hauptdarstellerin aus allen Titelblättern. Der Preview folgt die Release- Party, vorher schon durften ausgewählte Filmjournalisten den Hauptdarstellern Platitüden zu ihren Dreh-Erlebnissen, zu ihrer Kunst und zur allgemeinen Weltlage entlocken. „Akte X – Der Film“ (Originaltitel: „The X-Files: Fighting the future“) will nicht dahergelaufene Hollywood-Produktion sein. „Akte X“ ist ein Phänomen, wenn nicht gar – bäh – „Kult“. Und, es schaudert uns bereits, das Geheimnis kommt ins Kino. Geradezu konspirativ: Am Drehort, streut die Filmgesellschaft Twentieth Century Fox, zirkulierten verschiedene Versionen des Drehbuchs in unkopierbarem Rot. Und wenn es nicht stimmt, dann ist es gut erfunden.
So wie das ganze Projekt: An Drehbuchqualität und Umsetzung ist „Akte X“ dem weit voraus, was hier in Deutschland gemeinhin an TV-Ware produziert wird, und doch genauso wie der hiesige „Marienhof“ allein dafür geschrieben, inszeniert, gefilmt und geschnitten, damit sich in der Werbepause möglichst viele Menschen über ein neues Waschmittel informieren können – ein perfektes Marketinginstrument. Rund um den Weichspüler wird in den „X-Files“ dabei der Nordamerikaner liebstes Kind gefüttert: die Angst vor einem gewaltsamen Umsturz durch eine fremde Macht an der Schwelle zum Jahr 2000.
Im allgemeinen fürchtet sich der Durchschnitts-Amerikaner, so wie er gerade in den Medien anzutreffen ist, also vor einer Konspiration im Weißen Haus, vor einer „New World Order“ der UNO oder vor fiesen Aliens, die ansteckende Krankheiten und Unterjochung der Einheimischen mit sich bringen. Im speziellen Fall, den „X-Files“, kann sich der Zuschauer an einem großartigen Brei aus all diesen liebgewonnenen Horrorkomponenten erfreuen. Eine unerfüllte Kollegen-Romanze und die Hoffnung darauf, daß sich das Schlamassel irgendwann doch noch mal aufklärt, gibt's gratis obendrein. Der Gang ins Kino weckt da bei den Fans große Erwartungen. Die leider nicht erfüllt werden – weil sie nicht erfüllt werden dürfen.
Denn „Akte X“ wird es auch als Serie weiterhin geben. Zwar wurde ab der kommenden Staffel der Drehort vom kanadischen Vancouver nach Los Angeles verlegt, was Spekulationen zufolge das Ambiente der Serie etwas freundlicher gestalten könnte. Aber das ist auch schon alles. Mulder (David Duchovny) und Scully (Gillian Anderson) werden weiterhin unheimlichen Fällen auf der Spur bleiben und die großen Geheimnisse zu entschlüsseln trachten, ohne jemals ein Paar zu sein und ohne jemals die ganze Wahrheit herauszufinden. Und weil sie beides auch in Zukunft nicht können dürfen – denn solches würde das Ende der erfolgreichen Serie bedeuten – tun sie es auch im Film wieder nicht. Er endet, wo alles begann. Etwas Wichtiges ist nicht passiert. Wie immer in „Akte X“ geschieht „es“, das Neue, das Verändernde, nur fast, diesmal eben mit den größenwahnsinnigen Mitteln des Kinos: Wenn sich Scully und Mulder zum Kuß zueinanderbeugen, dann verhindert nicht etwa ein klingelndes Telefon den überfälligen Vollzug. Da muß schon eine von korrupten alten Alienkollaborateuren mutierte Killerbiene Scully ins Koma pieksen. Und wenn Mulder am Ende endlich höchstpersönlich, nur leider eben als einziger, eine ausgereifte Kreuzung aus E.T.-Mutterschiff und der „Independence Day“-Invasionstruppe beim Start beobachten darf, nachdem er gerade noch Scully aus dessen Innerem befreit hat, dann ist die einzige Erkenntnis: Da drin sieht's auch nicht wesentlich anders aus als auf der „Nostromo“. Stefan Kuzmany
„Akte X“. Regie: Rob Bowman. Mit David Duchovny, Gillian Anderson, Martin Landau, Armin Mueller-Stahl, Blythe Danner, USA 1998, 122 Min.
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