: Die Arroganz der Mächtigen
■ betr.: Kopftuch-Debatte
Im September soll in Berlin der mit 20.000 DM dotierte Moses- Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz verliehen werden. Es ist zu befürchten, daß diese Preisverleihung in einem Wahlkampf- Strudel populistischer Agitation gegen Ausländer und das Fremde überhaupt untergehen wird. Die Allparteienkoalition gegen die Muslima Fereshta Ludin, die wegen ihres Kopftuches keine Lehrerin in Baden-Württemberg werden kann, zeigt, wie meilenweit entfernt wir vom toleranten Geist der Aufklärung sind. Wenn für den beschämenden Akt auch noch der „Geist der Toleranz und die Sorge um die staatliche Neutralitätspflicht“ (Birgitt Bender, Fraktion B90/Grüne im Landtag von Baden-Württemberg) beschworen werden, scheint die Welt auf den Kopf gestellt.
Angesichts der Gier, vor allem aus dem konservativen Lager, in diesem Wahlkampf Ängste mit dem Fremden und vor den Fremden zu schüren, mutet es wenig weise an, daß der hessische Kultusminister Holzapfel und Alex Müller, der grüne Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, sich beeilen mußten zu versichern, in Hessen hätte Frau Ludin auch nicht in den Schuldienst gedurft – armes, erbärmliches Hessen.
[...] Auch wenn die Grünen die Ereignisse um Frau Ludin nunmehr nutzen, um wahrhafte Integrationsangebote für nichtchristliche Teile unserer Bevölkerung und ein demokratisches Staatsbürgerrecht einzufordern – die Reputation ist erheblich ruiniert. Die Entscheidung gegen Frau Ludin folgte der zwingenden Logik, daß wir in Deutschland einen auf christlichen Werten ruhenden Staat und eine christliche Kulturgemeinschaft haben. Folgerichtig äußert Birgitt Bender im bereits erwähnten Beitrag im Landtag, daß „Religion an unseren Schulen zu Recht ordentliches Lehrfach“ sei; entsprechend fordert sie auch islamischen Religionsunterricht. Die seit Jahrhunderten ausstehende strikte Trennung von Kirche und Staat ist eben in Deutschland nicht zu haben.
[...] Nach dem Fall Ludin bleibt eine bittere Enttäuschung zurück. Die Floskel von der Integration entpuppt sich als Gebot zu Unterordnung unter deutsche Kultur, und Toleranz meint die Arroganz der Mächtigen. Michael Riese, Bundestags-
direktkandidat B90/Grüne,
Wahlkreis Gießen-Alsfeld
betr.: „Unsere grüne Leitkultur“ von Micha Brumlik, taz vom 27. 7. 98
Im Gegensatz zu Micha Brumlik bin ich ganz und gar auf der Seite derjenigen, die die kopftuchtragende Frau Ludin nicht in den Schuldienst einstellen wollen. Als Frau sehe ich keine Intoleranz darin, daß man unsere Gesellschaft vor der Intoleranz der islamischen Gesellschaft der Frau gegenüber (in mehr oder weniger starker Form) bewahrt. Das Kopftuch als sichtbares Zeichen der Unterdrückung der Frau ist viel zu augenfällig, als daß es übersehen werden darf.
Natürlich wird man mir entgegenhalten, daß es die freie Entscheidung dieser Frau ist, sich so ihrer Kultur anzupassen. Allerdings hat es auch Sklaven und Leibeigene gegeben, die diesen Status verinnerlicht hatten und sich in Unterwürfigkeit wohl fühlten. Auch wird man hart arbeitende Kinder treffen, die diese Tätigkeit akzeptieren. Toleriert Micha Brumlik deshalb Leibeigenschaft, Sklaverei oder Kinderarbeit? Ich denke, nicht. Nur fällt ihm als Mann im Falle der islamischen Frau eben diese Tatsache nicht auf, unschwer zu erkennen daran, daß er sie gar nicht thematisiert.
Den Grünen vorzuwerfen, sie wollten auf diese Weise das christliche Abendland verteidigen, halte ich schlicht für polemisch. Marion Meyfahrt, Kassel
betr.: „Wenn aus dem Kopftuch Unrecht wird“ von Birgit Laubach, taz vom 3. 8. 98 u.a.
Nach wie vor fehlt mir die wichtigste und interessanteste Meinung zu diesem Thema – nämlich die von Frau Ludin selbst. Will sie sich dazu nicht äußern – oder hat sie einfach noch niemand gefragt?
Wie sinnvoll sind Argumentationen, von denen man/frau nicht weiß, wofür oder wogegen sie überhaupt stehen? Reden wir hier über eine (überspitzt ausgedrückt) religiöse Fundamentalistin und Möchtegernmissionarin oder aber über eine Lehrerin, die zwar in unserer Kultur leben und unterrichten, ihre eigene aber nicht komplett über Bord werfen möchte? Letzteres wäre für mich ein Grund, sie als Lehrerin meiner Kinder genauso zu akzeptieren wie andere Lehrer(innen) auch. Denn Toleranz verkommt endgültig zur bloßen Worthülse, wenn sie nur auf sichere Entfernung zum Tragen kommt. Wenn das alles wäre, was dieses Wort beinhalten soll – dann brauchen wir wirklich bald ein neues Lexikon. Saskia Deppendorf, Bretten
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