piwik no script img

1000 Pinkelvorgänge

■ Kein Klo am Flughafen / Taxifahrer müssen in die Büsche, aber die überleben's nicht Von Ulrike Winkelmann

„Wir haben keine Chance“, meint Hans-Peter S., Taxifahrer, erbittert, aber gefaßt. „Wenn ich die 500 Meter zur Charterhalle laufe, überholen mich die anderen. Ich pinkel in den Wald.“ Die Lage ist bedrückend: Hunderte von Taxen reihen sich vor dem Flughafen Fuhlsbüttel aneinander; die mehrspurige Warteschlange reicht fast einen Kilometer weit zurück. Und kein Klo weit und breit. Seit Jahren pflegen sich vor allem die männlichen Fahrer in einem angrenzenden kleinen Gebüsch Erleichterung zu verschaffen. Das Biotop hat die Überdüngung nicht verkraftet: Es stinkt zum Himmel.

Im vergangenen Monat verbreitete sich das Gerücht, daß die Baubehörde den Taxi-“Wartesaal“ schließen würde, wenn die Fahrer nicht die Flughafen-Toiletten benutzten. Jens Goldammer, Vorsitzender des Landesverbands Hamburger Taxiunternehmer, befindet: „Unzumutbar. Hier muß die öffentliche Hand für Toiletten sorgen.“ Der Baubehörde, die für das Gelände zuständig zeichnet, stinkt das gewaltig: „Wir waren so großmütig, den Taxifahrern die Straße zur Verfügung zu stellen, und zum Dank scheißen die uns in die Grünanlagen“, echauffiert sich Behördensprecher Jürgen Asmussen. „Die sollen sich selbst ein Klo aufstellen – demnächst wollen die von uns wohl auch noch eine Imbißbude und eine Sozialstation gespendet bekommen!“ Goldammer hat sich bereits um den Mobilklo-Markt gekümmert und beschreibt das Angebot als reichhaltig, aber vernichtend teuer: „Selbstreinigende Straßenklos aus Stahl zum Beispiel kosten 40 000 Mark Miete im Jahr.“ Nein, die blauen dixi-Klos, ein von Baustellen gewohnter Anblick, kämen nicht in Frage: „Wir haben 1 000 Pinkelvorgänge pro Tag, davon fallen die doch auseinander.“

Zwei dieser derartig disqualifizierten Kisten hat ein NDR-Fernseh-Team vergangene Woche gespendet, um sich für eine Kurzberichterstattung über die prekäre Pinkelsituation zu profilieren. Die dixi-Häuschen wurden ob ihrer Zerbrechlichkeit mit Spott bedacht; als der NDR sie nach zwei Tagen jedoch wieder abholen ließ, brandete die Empörung hoch. „Frechheit“, erhitzt sich Peter Z., altgedienter Kutscher. „Und vom Fernsehen wird man auch noch verarscht. Das sollen die mal sehen, wenn wir den Flughafen nicht mehr anfahren, was die ohne uns machen!“ Dorle K., seit vier Jahren im Geschäft, resümiert: „Alles ekelhaft. Der Anblick von Männern im Gebüsch, die öffentlichen Klos voller Mist und Schiet, alles.“

Die Sorge um die Damenblasen ist im Kavaliers-Kollektiv der Fahrer weit verbreitet. „Wo ich hinpisse, interessiert ja nicht, aber um die Frauen, da muß sich doch jemand kümmern“, so ein frauenbewegter Kutscher. Problematisch sei nicht die Pinkelei, sondern der Taxen-Überschuß: „Wir arbeiten 14 Stunden täglich und stehen uns hier die Beine in den Bauch!“ Mustafa N., 25 Jahre in der Branche, faßt sich bei solcher Jammerei an den Kopf: „Seid Ihr doch alle selbst schuld! Noch nicht einmal eine ordentliche Interessenvertretung habt Ihr hier.“ Während es woanders einheitliche Taxi-Verbände gebe, bekämpften sich in Hamburg derer zwei. Arbeitszeit hin, Toiletten her: „Alles eine Frage der Organisation.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen