piwik no script img

Was Clinton fehlt: das Wort „Sex“

■ Niemand weiß, ob es Bill Clinton gelungen ist, seinen Kopf aus der juristischen Schlinge zu ziehen. In seiner öffentlichen Erklärung hat er lediglich eine „nicht angebrachte“ Beziehung zu Monica Lewinsky zugegeben, Meineid und Behinderung der Justiz aber bestritten.

Als im Frühjahr dieses Jahres „Primary Colors“, die Verfilmung des von dem Journalisten Joe Klein geschriebenen Schlüsselromans über Bill Clintons Vorwahlkampf 1992, in die Kinos kam, stieß die Aufdeckung von Clintons Schürzenjägereien im Lande weitgehend auf Desinteresse. Die Live- Seifenoper war viel interessanter. In einem Kino unweit des Weißen Hauses aber war der Saal bis auf den letzten Platz belegt – na klar, hier wohnen Menschen, die die Vorgänge und die Protagonisten aus nächster Nähe kennen.

An der Stelle, wo Libby Holden, die langjährige Parteigängerin Clintons, sich von ihrem Idol lossagt und umbringt, flossen Tränen – nicht nur, weil das eine rührende Stelle ist, sondern weil in diesem Kino etliche Libbys saßen. Die Liste derer, die sich von Clinton abgewandt haben, wird länger: Inzwischen gehören zu ihnen auch Clintons ehemaliger Sprecher George Stephanopoulos und der frühere Stabschef im Weißen Haus, Leon Panetta.

Monatelang hat Clinton seine Getreuen für sich in die Schlacht geschickt, er hat seine Frau vor die Kamera treten und sich mit der Beteuerung der Unschuld ihres Mannes lächerlich machen lassen. Niemand konnte so naiv sein, zu glauben, Clinton habe im Weißen Haus von seiner Unart abgelassen, jüngeren und ihm untergebenen Frauen nachzustellen. Aber es ist eines, im Schatten der Unschuldsvermutung nackt dazustehen, und ein anderes, dies im Rampenlicht zu tun.

Von Sonderermittler Kenneth Starr wird jetzt erwartet, daß er einen Bericht für das Repräsentantenhaus schreibt, in dem es nicht um Ehebruch, sondern um Meineid, Zeugenbeeinflussung und die Unterdrückung von Beweismitteln gehen würde. Damit wird Anfang September gerechnet. Clintons Strategie, den Meineid zu leugnen und ein Minimum an Details zu liefern, erscheint gegenwärtig noch wie ein Glücksspiel.

Kaum jemand weiß einzuschätzen, ob Clinton es geschafft hat, seinen Kopf aus der juristischen Schlinge zu ziehen. Denn wenn Sonderermittler Starr entgegen Clintons juristischer Strategie meint, genügend Beweise zu haben, um dem Präsidenten eine strafbare Handlung nachweisen zu können, kann sein Bericht dem Kongreß Grundlage für ein Amtsenthebungsverfahren sein.

Vor diesem Hintergrund erscheint Clintons lautstarker Angriff gegen den Sonderermittler riskant, jetzt werde gegen den Sonderermittler selbst ermittelt – womit Clinton darauf anspielt, daß der Verdacht entstanden ist, Kenneth Starr habe wissentlich oder fahrlässig Informationen über Grand-Jury-Verhöre an die Presse weitergegeben.

Nach diesen neuerlichen Anwürfen hat er Starr die Möglichkeit genommen, den Zwist gütlich beizulegen und vom Präsidenten abzulassen. Auch geringere Strafen wie Abmahnung oder Geldbuße wären denkbar.

Mit der Abgabe eines Berichts gelangt der Fall vollends aus der juristischen Arena in die politische, wo Mehrheiten und Rücksicht auf die Stimmung im Volk entscheidend sind – im Herbst wird in Amerika gewählt.

Starrs vier Jahre währende Untersuchung hat in der Tat die politische Realität des Landes verändert. Sie hat Grundrechte angetastet.

Starr schleppte Vertraute Bill Clintons und Monica Lewinskys Mutter vor sein Geschworenenkollegium. Er hebelte das Anwaltsgeheimnis des Präsidenten ebenso aus wie die Möglichkeit des offenen Meinungsaustauschs mit seinen Beratern – in Zukunft kann jeder Berater vorgeladen werden. Das alles aber sind Rechte, die der Präsident selbst dadurch verspielt hat, daß er sie zur Deckung seines Versteckspiels in Anspruch nehmen wollte. Jetzt sind die entsprechenden Gerichtsentscheidungen Präzedenzfall.

Die Lewinsky-Affäre hat auch die politische Tagesordnung Washingtons überschattet. Der skandalgeplagte Präsident hatte in den vergangenen Monaten nicht mehr die Autorität und Überzeugungskraft, sich für die Tabakgesetzgebung einzusetzen, die für Schulen beantragten Gelder zu erkämpfen, einen Haushalt mit seinen Prioritäten durchzusetzen.

Der geänderte Kurs der Vereinigten Staaten gegenüber dem Irak – die USA wollen nicht mehr auf Inspektion, sondern auf Sanktionen setzen – wird sich, vernünftig oder nicht, nur schwer vom Ruch Clintonscher Schwäche befreien lassen.

Clinton hätte ein Dutzend Möglichkeiten gehabt, diese Entwicklung zu verhindern. Ganz abgesehen davon, daß er, zu einer Zeit, da schon ein Zivilverfahren wegen sexueller Belästigung gegen ihn lief, von weiteren sexuellen Abenteuern hätte lassen sollen, hätte er sich mit Paula Jones außergerichtlich einigen, bei der entsprechenden Vernehmung im Januar die Aussage verweigern oder die Wahrheit sagen sollen. Er hätte den Ermittlungen Starrs nicht jeden denkbaren juristischen Widerstand entgegensetzen müssen, oder er hätte Kenneth Starr, dessen Dienstherr er schließlich ist, entlassen und sich dem Sturm der Entrüstung stellen können. Jetzt, da Clinton erstmals zu seinen Taten steht, will er gleichzeitig auch das Opfer sein.

Als 1994 Clintons großangelegte Gesundheitsreform scheiterte, übernahm er selber dafür die Verantwortung – nicht der Kongreß, nicht die Medien, nicht die Lobbys hatten Schuld, sondern er. Die Bereitschaft, zu seinen Fehlern zu stehen, hatte ihm 1996 die Wiederwahl gesichert. Die Bereitschaft, in dieser Art die Verantwortung für sein persönliches Verhalten zu übernehmen, mußte Amerika am Montag vermissen.

In seiner zweiten Amtszeit hatte Clinton im kleinen durchsetzen wollen, was ihm im großen versagt war. Das wird ein unerfüllbarer Traum bleiben. Clinton ist zum zweiten Mal gescheitert und hat damit auf eine ganze Weile Amerikas Zukunft verspielt. Peter Tautfest

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen