■ Nachschlag: Mit 90 Grad gekocht: Nederlands Dans Theater II in der Lindenoper
Was ist der Körper? Ein Sack voll klappernder Knochen. Ordentlich durchgeschüttelt wird er in dem wirbelnden Tanz Skew-Whiff, den Paul Lightfoot zu Rossinis Ouvertüre der „Diebischen Elster“ entwickelt hat. Je mehr die Musik triumphiert, desto grotesker grimassieren die bleich geschminkten Leiber von drei Männern und einer Frau. Sie schlurfen krummbeinig und mit wackelndem Kopf über die Bühne, um sich im nächsten Moment, zählebig wie Comicfiguren, wieder anzukurbeln und fortreißen zu lassen wie die Brummkreisel. Was einmal Ballett war, scheint – mit 90 Grad gekocht und geschleudert – nun doch mehr von der Vergänglichkeit der einstigen Schönheit zu wissen als von ihren Idealen.
Es sind die Jüngsten, die da so systematisch und lustvoll demontieren, was einmal ein Tänzerleben lang halten sollte. 14 Tänzer zwischen 17 und 22 Jahren bilden das Nederlands Dans Theater II. Von einer bloßen Nachwuchsgruppe hat sich das NDT II schon Mitte der achtziger Jahre emanzipiert. Sie wurden zu einem Testgebiet für junge Choreographen, waren sie doch experimentierfreudiger als die große Compagnie NDT I. Denn der künstlerische Direktor Jiri Kylián ist klug genug, neben der eigenen schönen Handschrift auch völlig andere Impulse zuzulassen. Dies wurde in den fünf kurzen Tanzgeschichten beim Gastspiel in der Staatsoper sichtbar. Von Kylián selbst stammte „Un Ballo“, „ein Tanz zur Musik, nicht mehr“ (Kylián), leicht, ohne Zweifel schön, aber auch jenseits jeder aktuellen Befindlichkeit. Wie sehr dort Formsetzung und Symmetrie das Vokabular bestimmten, fiel im Vergleich zum folgenden Passomezzo von Ohad Naharin auf, der in einem Paar mehr Energie bündelte und streute als „Un Ballo“ in fünfen. Naharin packte Heftigkeit, Zärtlichkeit, Mißverständnisse, Doppeldeutigkeiten in die Verständigung zweier Körper, die so den Abstand zwischen den Wünschen und den Niederungen des Alltags auszuloten wissen.
So blitzt in den Gastspielen des Nederlands Dans Theater eine Vielfältigkeit der im Ballett möglichen Körperbilder auf, die man in Berlin nur neidvoll bestaunen kann. Eine „Regierungserklärung der Tanzkunst“ nannte der Ballettkritiker Horst Koegler Kyliáns letztes Stück „One of a Kind“, das die Gastspielreihe in der Deutschen Oper beschließen wird. Katrin Bettina Müller
„One of a Kind“, Deutsche Oper Berlin, 27.-29. 8., 20 Uhr
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