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Polaroids in Wawa- und Pappelholzklötzen

Standbild als Markenzeichen und die Herkunft aus dem geschlossenen Block: Stefan Balkenhol schält Paare und Passanten aus Holz und triumphiert über die Materie. Eine Übersicht seiner Skulpturen aus den 90er Jahren wird in deutschen Museen gezeigt  ■ Von Rainer Stamm

Stephan Balkenhol gehört bereits zu den Klassikern unter den zeitgenössischen Bildhauern. Nicht nur Jean-Christophe Ammann, der Leiter des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, legte beim jüngsten „Szenenwechsel“ in Frankfurt ein Bekenntnis zu den gegenständlichen Skulpturen ab; die reinstallierten „57 Pinguine“ gehören zu den Publikumslieblingen des Hauses. In einer umfangreichen, doch konzentrierten Übersicht sind Arbeiten aus den neunziger Jahren nun auf Ausstellungstour.

Den Auftakt der Werkschau, die an drei Orten präsentiert wird, machte Wuppertal. Dort funktionierten insbesondere die zehn „Tanzenden Paare“ von 1996 in der Kunsthallle erstaunlich gut. Mal umschlungen, mal distanziert gaben sie sich auf den hellfarbigen Holzstelen die Ehre. Dabei sind die Figuren stets in einem Stück aus dem Balken geschlagen, roh und präzise zugleich. Die Blicke der hölzernen Partner sind nicht einander, sondern dem Betrachter zugewandt. Balkenhol hat hier ein Grundthema variiert, die menschliche Figur, die sich als klassische Form aus dem Material schält. Mit diesem Motiv begegnet der Künstler dem Betrachter immer wieder, seit der Schwung der „Neuen Wilden“ in den achtziger Jahren eine erfrischende Rückkehr zum Menschenbild in der zeitgenössischen Kunst begründete.

1987 zeigte der 1957 geborene Rückriem-Schüler Balkenhol seine in sich gekehrten Holzstandbilder auf der Skulptur-Projekte- Ausstellung in Münster. Seither sind sie zu seinem Markenzeichen geworden. Obwohl die realistische Darstellung der hölzernen Passanten verblüffend lebendig ist, so verleugnet ihre Statuarik die Herkunft aus dem geschlossenen Block und somit Balkenhols Ausbildung bei dem Bildhauer Rückriem nicht. Während Rückriem die eingeschriebenen geometrischen Grundformen innerhalb eines grob behauenen Steinquaders sichtbar macht, schält Balkenhol die vertraute menschliche Physiognomie aus Wawa- und Pappelholzklötzen.

In den jüngsten „Architekturmodellen“ und hölzernen „Architekturskizzen“ des Künstlers ist zu erkennen, wie auch hier die menschliche Figur, der Körper in eine geometrische Grundform eingebunden ist; diesen Arbeiten gegenüber scheinen die tanzenden Paare farbenfroh gefaßt über die Materie zu triumphieren. Die spröde Sinnlichkeit des Materials korrespondiert zugleich mit der ritualisierten Etikette eines Tanzsaals.

War Balkenhol noch 1990 von Flachreliefs ausgegangen, die sich als manieristische Trompe-l'÷ils im Raum entfalten, ist nun über den Weg der Vollplastik der Raum erobert. Die realistische Gestaltung des Menschenbildes lehnt sich dabei jedoch ebensowenig an den raumgreifenden pathetischen Gestus George Segals oder die Popfiguren Duane Hansons an, sondern skizziert die Menschen in vermeintlich spontaner Unmittelbarkeit. Während Segal stumme Projektionsflächen schafft, die den Menschen als anonymes Individuum darstellen, und Hanson sich allzusehr auf den Effekt seiner täuschend echten Kreaturen verläßt, schafft Balkenhol unprätentiöse Skizzen. Jean-Christophe Ammann spricht gar von „in Holz gestalteten Polaroids“.

Stefan Balkenhols Abbrevationen wirken dadurch vertraut, alltäglich und künstlerisch zugleich; sie enthalten sich des kühlen Avantgarde-Gestus, skizzieren Paare und Passanten, sind mehr von der Realistik Donatellos oder von altägyptischer Plastik inspiriert als von den kühlen Setzungen der „weißen“ Moderne. Merkwürdig vertraut etwa wirkt auch der „Große klassische Mann“ aus dem Jahre 1996, der sich durch weißes Hemd und braune Hose als Zeitgenosse ausweist, in Haltung und Pose jedoch augenzwinkernd an Michelangelos David erinnert.

Am Ende ist es die Banalität der menschlichen Figur, die Stefan Balkenhol einlöst; eine Banalität, die er übrigens auch in anderen Sujets thematisiert, etwa wenn er drei pickende „Hühner auf einer Schraube“ (1997) aus dem Holz schält. Daß die Detailfreude des Künstlers schier unermüdlich ist, belegt zudem der wunderschöne Katalog zur Ausstellung, der diagonal in Halbleinen gebunden ist und den Künstler auch als Fotografen vorstellt. Ohne den Anspruch zu erheben, ist die aktuelle Ausstellung zur Retrospektive geworden.

Stephan Balkenhol. Skulpturen. Bis 6. September im Gerhard- Marcks-Haus Bremen; danach vom 20. September bis 29. November im Museum Kurhaus Kleve. Katalog 28 DM

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