: Geschmackvoller Eklektizismus
■ „Dark City“ von Alex Proyas: Verhuschte Männchen in tiefen, dunklen Häuserschluchten
Die Stadt hat keinen Namen. Sie ist naß und dunkel und unübersichtlich, und niemals scheint die Sonne. Die Bösen heißen „die Fremden“. Mal wieder stand offensichtlich der gute alte Franz Kafka Pate für ein alptraumhaftes Szenario. Den Zeiten angemessen, beginnt die Story allerdings eher in Jack-the-Ripper-Tradition, wenn der von Rufus Sewell gespielte Protagonist in einer Wanne neben der Leiche einer Prostituierten aufwacht. Dummerweise kann er sich an nichts mehr erinnern. Und bevor die Charaktere auch nur ansatzweise entwickelt sind, stößt er bei seinen Nachforschungen bereits auf eine liebende Ehefrau, reichlich weitere Leichen und noch mehr Ungereimtheiten. Schließlich findet er die alles beherrschenden Fremden und den Grund, warum in der Stadt ohne Namen nicht nur sprichwörtlich niemals die Sonne aufgeht.
Alex Proyas, der sich nach einer preisgekrönten Karriere als Werbe- und Videoclip-Regisseur mit „The Crow“ finanziell überaus erfolgreich fürs Düsterfach qualifizierte, hat das Set-Design von „Metropolis“ und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, aber auch „Alien“ und „Blade Runner“, natürlich „Brazil“ und der beiden „Batman“-Filme von Tim Burton offensichtlich sehr genau studiert. Zu seinen Vorbildern verhält sich „Dark City“ allerdings wie The Mission zu den Sisters of Mercy, mehr als einen überaus geschmackvollen Eklektizismus darf man nicht erwarten. So schaffen antike Taschenuhren, Klamotten aus den 40ern und Autos aus allen Jahrzehnten ein zumindest verwirrendes Ambiente. Bereits der Titel ist eine Referenz, wenn auch vielleicht ungewollt: In „Dark City“ von 1950 hetzt Charlton Heston in seiner ersten Hauptrolle auf der Flucht vor einem psychopathischen Killer durch die Straßen.
1998 sind die Menschen nur mehr verhuschte Männchen in tiefen, dunklen Häuserschluchten, kaum mehr als Mäuse im Laufrad, Teilchen im ungleich größeren, wichtigeren Experiment. Das Staubkorn, das das Getriebe ins Stocken bringt, wird Sewell, weil bei ihm die Gedankenkontrolle durch die Fremden aus irgendeinem Grund nicht funktioniert. Lange, schwarze Trenchcoats haben als bevorzugte Arbeitskleidung der Fremden ihren größten Auftritt seit dem Dritten Reich, und die Parallelen, die Proyas gezogen haben möchte, sind mehr als zaunpfahldick.
Sollte Proyas allerdings geglaubt haben, irgendeine wie auch immer geartete Botschaft vermitteln zu wollen, wird diese durch seine beeindruckende Abfolge von Computeranimation, Special Effects, Bildern in der Tradition von Bacon, kurz: von lange nicht mehr erlebter visueller Macht niedergewalzt. Zwar zieht sich dieses Argument durch sämtliche Kritiken an „Dark City“, aber das macht sie auch nicht falsch. Das traf aber auch schon auf „The Crow“ zu, und der wurde ein Kulterfolg bei den Kindern der Filmkritiker.
Manchmal allerdings, vor allem, wenn bei Kiefer Sutherland, der den durchgedrehten, mit den Fremden paktierenden Wissenschaftler als grimassierenden Peter-Lorre-Abklatsch gibt, oder Sewell, dem die preisgekrönte Londoner Theatervergangenheit des öfteren zum Overacting gerinnt, die Augäpfel herauszuplumpsen drohen, scheint es fast, als wollte Proyas sich doch nicht völllig ernst genommen wissen. Dem widerspricht allerdings das anämische Spiel von William Hurt und Jennifer Connelly, die sich alle Mühe geben, die Lakonie der Schwarzen Serie zu zitieren.
Wie schrieb der Rezensent von Entertainment Weekly so hübsch? – Wer wieder mal ein wenig wahnhafte Einbildungskraft besichtigen möchte, kann auch in ein Museum gehen. Dort erklärt einem wenigstens nicht ausgerechnet Kiefer Sutherland, was man sieht. Thomas Winkler
„Dark City“. Regie: Alex Proyas. Mit Rufus Sewell, William Hurt, Kiefer Sutherland, Jennifer Connelly, Richard O'Brien, Ian Richardson. USA 1997, 100 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen