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Erfolg mit Mief

■ Trotz staubdicker Patina und geballter Konkurrenz ist die Berliner "Abendschau" die meistgesehene Regionalsendung. Heute wird sie 40

Gerührt blickten die SFB-Oberen auf den Zusammenschnitt alter „Abendschau“-Sendungen. Noch einmal sahen sie den alten Vorspann mit Funkturm und Schwangerer Auster, den Symbolen Westberliner Identität. „Durch Berlin fließt immer noch die Spree“, erklang dazu die historische Erkennungsmelodie. Den Mauerbau ließen sie ebenso Revue passieren wie den Einsturz der Kongreßhalle, bei dem ein SFB-Mitarbeiter ums Leben kam. Nicht fehlen durfte auch die Sendung vom 9. November 1989, als die Regionalsendung „Abendschau“ ausnahmsweise bundesweit über den Äther ging. Es war das einzige Mal, daß der langjährige Moderator Hans-Werner Kock auf seinen gewohnten Abschiedsgruß, „macht's gut, Nachbarn“, verzichtete.

Einer der Medienmythen aus West-Berlin

Vorbei, vorbei: Das Berlin von heute hat mit dem kuscheligen West-Berlin von einst nur noch wenig gemein. Gerade deshalb aber erweisen sich die alten Westberliner Institutionen als erstaunlich zählebig: Sie sind Fixpunkte in einer Stadt, die sich rasant wandelt. Zu ihnen zählt auch die „Abendschau“ des SFB, die am 1. September 1958 auf Sendung ging. Mit im Durchschnitt 290.000 Zuschauern ist sie auch in der neuen Zeit die erfolgreichste Regionalnachrichtensendung in Deutschland. Auf rund 25 Prozent aller Mattscheiben, die in Berlin um 19.25 Uhr unter Strom stehen, flimmert die „Abendschau“. Nur das ebenso legendäre (aber viel jüngere) Bremer „Buten un Binnen“ und das NDR-„Schleswig-Holstein-Magazin“ können da mithalten.

Der wenig erfolgsverwöhnte SFB ist denn auch „sehr, sehr stolz“ auf seine meistgesehene Sendung, ließ Intendant Horst Schättle wissen. Der SFB-Chef hat allen Grund, erleichtert zu sein. Ohne den Quotenbringer „Abendschau“ hätte sein Metropolenkanal B 1 niemals seinen heutigen Berliner Marktanteil von über fünf Prozent erreicht, mit dem er zu den erfolgreicheren Programmen unter den Dritten der ARD zählt – trotz seiner vergleichsweise billigen Machart.

Daß der Erfolg der „Abendschau“ bestenfalls in zweiter Linie ein Verdienst der Redaktion ist, weiß aber auch deren Chef Gerhard Horstmeier. „Für einen Stadtsender ist es viel leichter, hohe Quoten zu kriegen“, sagt er. Die Regionalnachrichten der Flächensender fahren eben vor allem deshalb so niedrige Quoten ein, weil sich ein Aschaffenburger für Neuigkeiten aus Berchtesgaden nur dann interessiert, wenn sie auch „Tagesschau“-relevant sind. Zudem gibt es hierzulande kaum ernstzunehmende private Konkurrenz auf dem lokalen Markt. In Berlin existieren zwar immerhin zwei private Lokalkanäle, doch die Nachrichten auf Thomas Kirchs „TV Berlin“, überwiegend aus Polizeiberichten zusammengeschnitten, mußte die „Abendschau“ bislang nicht fürchten. Und die Einschaltquoten des anderen Lokalsenders FAB bewegen sich unterhalb der Nachweisgrenze.

Doch wenn im nächsten Jahr Regierung und Parlament nach Berlin ziehen, werden womöglich die Karten neu gemischt. Nicht nur, daß neue Konkurrenz droht und das Altberliner Milieu endgültig gelüftet wird. Schon bei der Themenauswahl wird die „Abendschau“ dann vor der Frage stehen, ob sie der „Tagesschau“ auf dem Gebiet der großen Politik Konkurrenz macht oder sich auf die ganz lokalen Themen der in Berlin geliebten „Kieze“ zurückzieht. Intendant Schättle sagt unscharf, er wolle „die politischen Aktivitäten nicht ausblenden, aber mehr auf den Menschen beziehen“.

Nicht mehr „gezielt für Kleingärtner“ gemacht

Am Menscheln fehlt es der „Abendschau“ freilich schon jetzt nicht. Moderator Friedrich Moll freut sich denn auch, daß er „persönlicher“ durch die Sendung führen kann als die Kollegen bei den „Tagesthemen“. Anders als in früheren Jahrzehnten werde die Sendung nicht mehr „gezielt für Kleingärtner“ gemacht, beteuert er: Auch „Leute mit höherem IQ“ wolle man inzwischen ansprechen.

Doch im Zweifel bleibt die Oma nebenan immer noch das Maß aller Dinge. Dann entscheidet sich die Redaktion eben dafür, mit einem unkritischen Beitrag über ein mit viel Tamtam inszeniertes Polizeireförmchen aufzumachen, „weil die Oma mehr Grün auf der Straße sehen will“. Für die Spätausgabe um zehn darf dann allerdings auch mal ein Kamerateam mit der PDS- Jugend ausschwärmen.

Doch derlei Wagnisse konnten das piefige Image nicht nachhaltig austreiben, das die „Abendschau“ vor allem unter jüngeren Berlinern genießt. „Vielleicht“, sagt ein Redakteur, „ist sie ja gerade deshalb so erfolgreich, weil sie so piefig ist. Sie ist eine Insel der Ruhe in einer sich rasant wandelnden Fernsehlandschaft.“

So zurückhaltend konnte die „Abendschau“ aber gar nicht sein, daß sie nicht immer wieder gerade von konservativen Lokalpolitikern unter Druck gesetzt worden wäre. „Es ist ja einfacher, ein Feature über die Apartheid zu machen als eine kritische Geschichte über Senator Sowieso. Den haben Sie sofort auf der Matte“, sagt Harald Karas, der von 1958 an dabei war.

Berlins Politiker sind leider Quotenkiller

Moderator Moll mußte sich von den in der Stadt mächtigen Springer-Blättern sogar als „linker Scharfmacher“ geißeln lassen. Vor zwei Jahren, so stand es damals in den Zeitungen, wollte er schon alles hinschmeißen, weil ihn der neue Chef des SFB-Regionalfernsehens, Harald Prokosch, bespitzeln ließ. Wird Prokosch, der unentwegt von „Produkt“ und „Zielgruppen“ redet, auf Versuche politischer Einflußnahme angesprochen, dann schaltet er seine Stimme noch eine Stufe aalglatter als sonst. „Als Massenmedium sind wir natürlich immer eine Verlockung für die Politiker.“

Tatsächlich ist die Berichterstattung der „Abendschau“, wo Rathausreporter früher stets verläßliche Mikrofonständer des Regierenden Bürgermeisters waren, in den letzten Jahren etwas weniger regierungslastig geworden. Das hat einen einfachen Grund: Berlins Provinzpolitiker sind Quotenkiller. Das mußte der SFB bei aller Freundschaft einsehen: Wenn die „Abendschau“ wochenlang über quälende Haushaltsberatungen berichtet, muß Redaktionsleiter Horstmeier am Telefon ständig empörte Zuschauer besänftigen, die das Gewürge nicht mehr mitansehen wollen.

Aber ein richtiger Berliner käme deswegen noch lange nicht auf den Gedanken, die „Abendschau“ einfach nicht mehr einzuschalten. Ralph Bollmannn

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