: Erinnerung an die Blütezeit maoistischer Sumpfblüten
■ betr.: „Wiedergänger“ (Was von Mao übrigblieb: Versuch über das Nachleben einiger K-Gruppen- Motive) von Christian Semler, taz vom 26.8.98
Als politischer Kommentator der laufenden Ereignisse hat sich Christian Semler in den letzten Jahren respektable Verdienste erworben. Er gehört zu den wenigen Ex-Maoisten, die sich überzeugend aus dem Gestrüpp ihrer Biographie zu befreien vermocht haben, ohne dabei in eine vollständige Amnesie zu verfallen. Auch in seinem Beitrag über das Nachleben einiger K-Gruppen-Mentalitäten in der Beurteilung heutiger politischer Ereignisse findet man eine Menge kluger wie richtiger Gedanken. Nur enthält diese Erinnerung an die Blütezeit maoistischer Sumpfpflanzen in den siebziger Jahren auch eine große Blindstelle.
Warum erwähnt Semler mit keinem einzigen Wort diejenigen maoistischen Mitkämpfer jener Zeit, die durch die rigide Organisationspolitik dieser Gruppen im wahrsten Sinne vor die Hunde gegangen sind? Folgt man Semlers Ausführungen, dann haben alle alten maoistischen Kader, wenn auch über die verschlungensten „leuchtenden Pfade“, irgendwie in der real existierenden bürgerlichen Gesellschaft ihren Platz gefunden: in den Ministerämtern, in hanseatischen Senaten, in Parteivorständen, in den Redaktionen, in Architekturbüros, Arztpraxen oder weiß der Teufel in welchen anderen Überlebensnischen. Aber, lieber Christian Semler, hat die abenteuerliche maoistische Ideologie der siebziger Jahre nicht auch schlimme menschliche Opfer gekostet? Traumen, Zukunftszerstörungen, schmerzhafte Lebenseinbrüche bis hin zu Suiziden? Von den an dieser Politik unmittelbar Beteiligten und vor allem von den lächerlichen selbsternannten „ZK- Führern“ der diversen Sekten würde man doch gelegentlich gerne einmal entsprechende Worte der Selbstkritik und Selbstreflexion hören. Sonst bohren sich die Verdrängungen der Vergangenheit immer wieder wie Spargelspitzen in das Heute hinein. Carl-Wilhelm Macke, München
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