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Raus aus den Turnhallen!

Vor der heute beginnenden Basketballsaison mahnt der übermächtige Meister Alba Berlin eine stärkere Bundesliga an  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Alba Berlin hat gut Nase rümpfen. Wenn heute die neue Saison in der Basketball- Bundesliga startet, bezweifeln nur wenige, daß der Klub seinen deutschen Meistertitel unangefochten verteidigen wird. Zu weit ist der nationale Branchenführer den anderen Teams voraus, zu hoch die Qualität des durcheinandergewirbelten Spielerkaders, als daß einer der anderen Bundesligisten ernsthaft daran denken könnte, den Champion in einer Playoff-Serie in die Knie zwingen zu können. An einem schwachen Tag der Berliner mal ein Match für sich entscheiden zu können ist das Höchste, was sich die Konkurrenz erhoffen darf.

Für Alba ist diese Position einerseits positiv, denn nur der Meistertitel garantiert derzeit den begehrten Platz in der Europaliga, andererseits aber auch ein Problem, wie die vergangene Saison zeigte. Nach rauschenden Europaliganächten fällt es den Alba-Verantwortlichen zunehmend schwerer, Publikum und Spieler für den grauen Bundesliga-Alltag zu motivieren, und selbst die Meisterschaftsfinalserie gegen Rhöndorf war nur ein schwacher Abklatsch jener brodelnden Begeisterung, die bei den Partien gegen Bologna, Barcelona oder Saloniki die schmucke Max-Schmeling-Halle im Prenzlauer Berg erzittern ließ. Die Situation erinnert stark an das Szenario, welches Vereinspräsidenten für den Fußball an die Wand malen, wenn die private Europaliga eingeführt wird: Einige wenige übermächtige Mannschaften, die internationalen Glanz verbreiten und nur widerwillig oder gar nicht mehr in der heimischen Liga auftreten.

„Wir brauchen eine stärkere Liga“, sagt Robert Mayer, Nachfolger des altgedienten, ins Präsidium abgewanderten Managers Marco Baldi. Und schon zeigt sich besagtes Naserümpfen, wenn vom „Turnhallenmief“ die Rede ist, der nach wie vor die restliche Bundesliga durchweht. Außerhalb Berlins ist der Versuch, die gewaltige Popularität des Basketballs bei jüngeren Leuten wenigstens ansatzweise von der NBA auf die nationale Liga umzuleiten, bislang in den Anfängen steckengeblieben. Das größte Problem sind dabei die kleinen, ungemütlichen, stickigen und fernsehuntauglichen Hallen, in die oft nur 1.000 bis 3.000 Menschen passen, und die antiquierte Öffentlichkeitsarbeit vieler Klubs und der Liga insgesamt, die nach Italien, Spanien und Frankreich dennoch den vierthöchsten Zuschauerschnitt in Europa hat – nicht zuletzt dank Alba.

Einige Vereine haben die Zeichen der Zeit erkannt. In Braunschweig, Ulm, Trier sollen neue Hallen gebaut werden, Rhöndorf liebäugelt mit einem Umzug in die neue Superhalle nach Köln. Das solche Unternehmungen mit großem Risiko verbunden sind, wenn nicht entsprechende begleitende Maßnahmen getroffen werden, mußte im letzten Jahr der TuS Herten erfahren, der ins Oberhausener CentrO umzog, sich in die Ruhr Devils verwandelte und schnurstracks zur Hölle fuhr. „Es geht nur über Strukturen“, bezweifelt Marco Baldi die Fähigkeit der Basketball-Funktionäre, die Modernisierung aus eigener Kraft zu vollziehen, deshalb soll die Bundesliga künftig von einer professionellen Marketingagentur an die Hand genommen werden, um den deutschen Basketballboom endlich in Schwung zu bringen.

Alba Berlin strebt derweil höhere Ziele an. „Wir wollen eine Marke in Europa bleiben“, sagt Trainer Svetislav Pesic selbstbewußt, was nichts anderes heißt, als sich in den beiden nächsten Jahren in der Europaliga wie bisher zu behaupten, um sicher dabeizusein, wenn ab 2000 die europäische Superliga, zumindest im Basketball, Realität wird. Dort aufzutreten sei „der Traum jedes Spielers“, sagt Pesic, der sicher ist, „die Mannschaft für solche Ziele“ zu haben, auch wenn ihm das Schicksal in diesem Sommer wieder übel mitspielte. Der Verlust von Spielern wie Harnisch (Karriere beendet), Karassew (nach Moskau geflüchtet), Welp (ungewiß) oder Arigbabu (nach Griechenland gelockt) zwingt den Mann, der kontinuierliches Arbeiten und das geduldige Formen einer starken, homogenen Mannschaft liebt, schon wieder zum Neuaufbau. Da der Etat mit fast zehn Millionen Mark zwar für deutsche Verhältnisse gigantisch, international aber eher bescheiden ist, bedeutet dies, daß die Saison mit dem jüngsten Alba-Team aller Zeiten in Angriff genommen wird. So jung, daß Pesic bei der Pressekonferenz zum Saisonauftakt sogar seinen Sohn Marco (21) und Jörg Lütcke (22) zu den erfahrenen Leuten zählte, die das Team tragen sollen. Insgesamt stehen im Kader sieben Spieler, die im Sommer die Junioren-EM in Sizilien bestritten. „Wir bleiben unserer Linie treu, keine großen Stars zu kaufen, sondern auf eine Mischung aus erfahrenen und jungen Spielern zu setzen“, versichert Marco Baldi.

Tapfer versucht Svetislav Pesic zu kaschieren, welch undankbare Aufgabe er vor sich hat. Die Erwartungen in Berlin sind hoch, nachdem sich das Team vorher von Saison zu Saison steigerte. Demnächst stände das Erreichen der Final Four in der Europaliga an, was ähnlich schwierig ist wie – um einen weiteren Fußballvergleich zu bemühen – das Vordringen ins Champions-League-Finale. Alles andere würde als Rückschritt betrachtet, und dies bei einer Konstellation, die ein Scheitern in den Gruppenspielen keineswegs sensationell erscheinen ließe. In einer Europaliga-Gruppe, der neben Zadar und Ülker Istanbul Spitzenteams wie Olympiakos Piräus, Kinder Bologna und ZSKA Moskau (mit dem abtrünnigen Karassew) angehören, wird eine Menge davon abhängen, ob die Veteranen Rödl und Alexis verletzungsfrei und auf gewohntem Niveau durchspielen können und wie sich die neuen Leistungsträger Patrick Femerling (23), Harnisch-Nachfolger Franko Nakic (26) und Spielmacher Kiwane Garris (23) einfügen. Während der gebürtige Kroate Nakic vor zwei Jahren eine hervorragende Europaliga-Saison beim Champion Olympiakos Piräus spielte, dann aber durch den Litauer Karnisovas an den Rand gedrängt wurde, hat Garris, bei der WM mit dem US-Team Bronzemedaillengewinner, bei den Denver Nuggets 28 Partien in der NBA bestritten. Seine Erinnerungen an diese Zeit sind zwiespältig. Zum einen habe man immer verloren, zum anderen spielte er bloß acht Minuten im Schnitt. Viel schlimmer sei aber gewesen, daß ihm niemand sagte, was er eigentlich tun solle. Immer nur habe es geheißen: „Be ready.“

Bei Pesic, das hat er schnell gemerkt, ist das anders. Der erkläre sehr genau, was er wolle, auch wenn das bisher meist „Konditionstraining“ gewesen sei. „Ein guter Coach“, findet Garris, der als Jugendlicher zunächst Baseball vorgezogen und Basketball nur in seinem Chicagoer Viertel zum Spaß gespielt hatte. Der Point Guard glaubt, daß er noch etwa zwei Wochen benötigen wird, um sich mit seinem neuen Team einzuspielen. Genau richtig zum Europaliga-Auftakt gegen Moskau am 24. September, wenn es für Alba endgültig heißt: „Be ready.“ Das kann allerdings auch beim heutigen Bundesliga-Auftakt in Würzburg nicht schaden. Zwar hat Alba Berlin die Meisterschaft nach allgemeiner Auffassung praktisch schon gewonnen, ein paar Körbe müssen trotzdem noch geworfen werden.

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