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■ Ein denkwürdiges Konzertereignis im OberfränkischenDer Dettelbacher Wasser-Marsch

Der bekannte Memminger „Feingeiger“ Peter Wemblinger hätte sich, als er zu seiner musikalischen Sommertournee durch die deutschen Lande aufbrach, wohl nicht träumen lassen, daß es ihn bis ins oberfränkische Dettelbach verschlagen würde, wo er zur Eröffnung der Aphrodite-Thermen einige Eigenkompositionen zum besten geben sollte.

Tobias Schramm, der Direktor der Dettelbacher Badebetriebe und geistige Vater der „Wasserwelt mit Erlebnischarakter“, zu deren Fertigstellung Wemblingers Saitenkunst die feierliche Note anschlagen sollte, war sich sicher, daß das farblich aufs geschmackvollste abgestimmte Fliesenambiente des Dettelbacher Wellenbades den Allgäuer zu zwingender Tonkunst animieren und er das festlich gewandete Premierenpublikum auf künftige Badefreuden einstimmen würde, um so mehr, als dem Allgäuer Violinvirtuosen mit Valerij Block, dem ukrainischen Dirigenten und Leiter vielhundertköpfiger Armeechöre, ein brillanter, wenn auch recht eigenwilliger und zuweilen stark aufbrausender Tonmeister zur Seite gegeben war...

Um es kurz zu machen – die Eröffnungsfeierlichkeiten verliefen zunächst einwandfrei und geradezu tadellos, die Begrüßungsansprache Tobias Schramms bestach durch launige Formulierungen rund um die Dettelbacher Wasserwelten, die Blaskapelle der Freiwilligen Feuerwehr Dettelbach bewältigte, sicher geführt von Velerij Block, den klassischen Programmteil mit gewohnter Bravour – auch wenn man sich an Händels Feuerwehrmusik in der an sich reizvollen Instrumentalisierung für Blasorchester erst einmal gewöhnen mußte.

Nach der Pause fieberte das Premierenpublikum dem musikalischen Höhepunkt, der Welturaufführung von Wemblingers Wellensonate entgegen. Allein schon die Plazierung der Musiker sorgte für Raunen und Staunen unter den Dettelbacherinnen und Dettelbachern: Während sich die Mannen der Freiwilligen Feuerwehr mit Pauken und Trompeten auf der Einstiegsplattform vor der Superrutsche aufgestellt hatten, postierte sich Peter Wemblinger auf einem Plastikfloß und paddelte in die Mitte des großen Beckens, wo er von bunten Scheinwerfern angestrahlt wurde – das Arrangement hatte durchaus Eventcharakter.

Als Valerij Block dann endlich den Taktstock hebt, verebben die Premierenplaudereien und erwartungsfrohe Ruhe senkt sich über die pink gekachelte Thermenlandschaft. Ein donnernder Tusch begleitet das Einschalten der Wellenmaschine seitens des Betriebsleiters. Und während die künstlich erzeugten Wellen Wemblingers Floß in sachte Schwingung versetzen, hebt der Memminger Violonist zu geigen an. Zunächst recht zartbesaitet, bis sich allmählich Wellenbewegung und musikalische Darbietung buchstäblich gegenseitig „hochschaukeln“. Wie gut, daß Wemblinger auf dem mittlerweile arg schwankenden Floße wie ein Fels in der Brandung zu balancieren und die Premierengäste mit einem ersten Solo furioso vollends in seinen Bann zu geigen vermag.

In rasendem Stakkato jagen die Rhythmen dem Höhepunkt entgegen. Da – Valerij Block gibt dem ersten Baßtubisten den Einsatzbefehl. Dieser, nicht faul, setzt sich mit seinem Instrument auf die Superrutsche und schliddert mächtig röhrend durch die Röhre, an deren Ende er mit Aplomb in das beheizte Becken zischt. Ein Mitglied des Dettelbacher Blasorchesters nach dem anderen findet so seinen Weg in die, wie Tobias Schramm eingangs betonte, nur mäßig gechlorten Fluten. Unten angekommen, stehen die „Freiwilligen“ bis zu den Hüften klatschnaß im Familienbecken des Erlebnisbades und versuchen, das anschwellende Wellengetöse mit mittlerweile fast schon verzweifelt wirkenden Stößen in ihre Instrumente zu übertönen. Wen wundert es, daß sie im Eifer des Gefechts Wemblingers feinnervige Wellensonate wie die ihnen in Fleisch und Blut übergegangene Feuerwehrshymne, den legendären Wasser-Marsch, intonieren?

Einzig Peter Wemblinger schwankt trockenen Fußes auf seinem Floß. Doch auch er überlagert die wildbewegte Szenerie mit Tonfolgen, die aus einem musikalischen Paralleluniversum zu stammen scheinen. Wemblinger, obzwar ein Saitenvirtuose von einigen Graden, dessen entfesselter Bogen auf dem schmalen Steg seines Instruments Staunenswertes zu vollbringen versteht, wenn, ja wenn Akkordia, die Muse des Wohlklangs, ihre Leier schlägt und Wemblingers Spiel in die Sphären gehobenen Musikantentums entführt, was leider nicht immer der Fall ist. Leider nur allzu oft enden seine Bemühungen um den Feinklang, wie er es nennt, in kakophonen Klangbildern, die geeignet sind, auch den wohlmeinendsten Zuhörer zu verstören. Daß der im Grunde hochbegnadete Allgäuer während des aufbrausenden Schlußakkords dann auch noch die Balance auf dem glitschig gewordenen Floß verliert und mit schrillem Saitenklang ins wohltemperierte Becken fällt, fällt also kaum mehr ins Gewicht und kann den insgesamt überwältigenden Gesamteindruck dieser im wahrsten Sinne des Wortes „spritzigen“ Darbietung, mit der im Oberfränkischen musikalisch absolutes Neuland betreten wurde, kaum mehr trüben. Rüdiger Kind

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