: Ein historisches „Mea culpa“
■ Der Vorsitzende des Historikerverbandes räumt erstmals NS-Verstrickung „demokratischer“ Geschichtswissenschaftler ein
Frankfurt am Main (taz) – Jetzt hat die Vergangenheit auch die Historiker selbst eingeholt. Die Mehrzahl der Professoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine „demokratische“ Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik begründeten, hatte vor 1945 mit der gleichen Begeisterung für den Nationalsozialismus Partei ergriffen.
Das räumte der Vorsitzende des Historikerverbands, Johannes Fried, bei der Eröffnung des 42. Deutschen Historikertags in Frankfurt am Main ein. „Unliebsames wird eingefordert“, sagte Fried, „die Selbstprüfung der eigenen Disziplin.“
Außenstehenden Beobachtern mochte das Bekenntnis des Verbandsvorsitzenden als überfällig und halbherzig erscheinen, in der „Zunft“ ist es geradezu eine Sensation. Selbst führende linksliberale Historiker, die den Nationalsozialismus zum Dreh- und Angelpunkt der deutschen Geschichte erklärten und mit Attacken gegen andere Berufsgruppen nie zimperlich waren, hüllen sich bis heute in Schweigen.
Sie lobten die Generation ihrer akademischen Lehrer als Begründer einer modernen „Gesellschaftsgeschichte“ und wiesen höchstens in einem Nebensatz darauf hin, daß diese einst als „deutsche Volksgeschichte“ begonnen hatte.
Daß der spätere Kölner Ordinarius Theodor Schieder in einer Denkschrift von 1939 Umsiedlungsaktionen in Polen plante und sich zum „Vordenker der Vernichtung“ machte – das ist zwar längst bekannt, aber die Phalanx prominenter Schieder-Schüler ignorierte es beharrlich. Daß der Sozialhistoriker Werner Conze am Tag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung der SA beitrat und später die „Entjudung“ polnischer Städte forderte – davon wollten die führenden deutschen Historiker ebenfalls nichts wissen. Einschlägige Fragen ihrer Studenten beantworteten die sonst so redseligen Professoren nicht selten äußerst wortkarg.
Fried räumte ein, daß auch karrierebewußte Junghistoriker unter diesen Vorzeichen lieber einen Bogen um das Thema machten. „Darin stecken ja auch persönliche Chancen“, sagte er. Daß die Historiker ihren Anspruch auf historische Aufklärung erst jetzt auf das eigene Fach anwenden, führte der Verbandsvorsitzende auf den „zweifachen Generationenwechsel“ seit dem Krieg zurück: „Wer hätte unliebsame Forschungen betreiben sollen, solange die Historiker sich mit sich selbst hätten befassen sollen?“
Ob sich der Historikerverband auf seiner heutigen Mitgliederversammlung zu einer offiziellen Erklärung durchringen kann, ist bei allem Bekennermut seines Vorsitzenden unklar. „Ich wollte nicht geschwiegen haben“, betonte Fried demonstrativ. Doch der Verband müsse „ein bißchen taktisch“ handeln, sagte er, „manchmal ist die Wirkung größer, wenn man etwas langsamer vorgeht.“
Eine Entschuldigung für Tun und Unterlassen deutscher Geschichtswissenschaftler lehnte Fried ab, weil es dafür keinen Adressaten gebe. Auf die Beurteilung ihres wissenschaftlichen Werks nach 1945 hätten die Enthüllungen über die Autoren keinerlei Einfluß. Auch daß der einstige SA-Mann Conze eine Quellensammlung zum Nationalsozialismus publizierte, könne er „nicht als zynisch ansehen“. Ralph Bollmann
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