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Zivildienst – ein „fauler Kompromiß“

■ Totalverweigerer steht heute vor dem Hamburger Landgericht

Sebastian Hertweck will nicht nach Bosnien. Er will die Bundeswehr auch nicht operativ bei ihren Einsätzen unterstützen. Doch das könnte auf ihn zukommen, wenn er als Zivildienstleistender im „Kriegs- und Spannungsfall“ verpflichtet würde. Deshalb brach der 23jährige im Oktober 1993 seinen Zivildienst eigenmächtig ab. Heute findet vor dem Hamburger Landgericht seine Berufungsverhandlung statt.

Nach dem Abitur hatte Sebastian seinen Dienst beim Deutschen Roten Kreuz in seiner Geburtsstadt Reutlingen angetreten. Nach einiger Zeit wechselte er nach Hamburg und arbeitete auch dort im Krankentransport. „Zunächst war ich mir gar nicht so bewußt über den Zusammenhang von Altenpflege oder Krankentransporten mit militärischen Funktionen“, beschreibt Sebastian seinen Entscheidungsprozeß. Ihm sei erst während des Zivildienstes klar geworden, daß dieser nur einen Bestandteil der Gesamtverteidigung darstellt und er im Verteidigungsfall seinen Teil zur Kriegsmaschinerie beitragen würde. Was er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Nach insgesamt zehn Monaten entschloß sich Sebastian, den Zivildienst nicht fortzusetzen, und teilte dies seiner Dienststelle mit.

Im Februar 1995, ein Jahr und vier Monate später, kam es vor dem Amtsgericht Hamburg zur Verhandlung. Das Urteil: sechs Monate Gefängnis auf drei Jahre zur Bewährung – unter der Auflage, 30 Tage gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Sebastian legte Rechtsmittel ein: „Der Zivildienst ist ein fauler Kompromiß und der Rechtsweg die einzige Möglichkeit gewaltfreien Vorgehens gegen jede Art von Zwangsdiensten.“

Sebastian wirkt ein wenig resigniert, wenn er sein Beharren auf die zweite Instanz erklärt. Im August dieses Jahres begann er im niedersächsischen Gartow eine Ausbildung als Zimmerer und wohnt seitdem dort. „Das ist schon ein großer psychischer Streß“, erklärt er, aber er wolle sich von Richter und Staatsanwalt nicht das Gewissen absprechen lassen. Die Angst vor der Reaktion seines Arbeitgebers erwies sich als unbegründet. „Der versteht das, das hat mich ziemlich beruhigt,“ ist Sebastian erleichtert. Vergleicht er das juristische Hickhack, das sich nun schon über zwei Jahre hinzieht, mit den fünf Monaten Dienst, die er noch abzuleisten gehabt hätte, zieht er den Schluß: „Ich hätte einiges anders gemacht und wahrscheinlich schon die Musterung verweigert.“ al

Prozeß heute, 12.30 Uhr, Kapstadtring 1, Sitzungsraum 1012

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