piwik no script img

Die Zigarre in aller Munde

■ Dank Internet verhandelt die gesamte Nation die schlüpfrigen Details der Clinton-Lewinsky-Saga aus der ersten Reihe. Trotz der eigenen Komplizenschaft beschleicht viele das Gefühl, manipuliert zu sein

Kurt Petrich wundert sich: „Und was war jetzt eigentlich mit dieser Zigarre?“ Der kleine Junge hat irgendwo aufgeschnappt, daß diese Requisite eine unanständige Rolle in der Beziehung zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky gespielt hat. Seine Mutter druckst ein bißchen herum, ist keine rechte Hilfe. Seit Freitag ist „die Zigarre“ in aller Munde: Dieses pikante Detail aus dem per Internet veröffentlichten Untersuchungsbericht über die Sexaffäre im Weißen Haus ist inzwischen – neben dem Kleid mit den verhängnisvollen Flecken – eine feste Ikone der Clinton-Lewinsky-Schmuddelsaga.

Die amerikanische Öffentlichkeit schwelgt in einer Flut von schlüpfrigen Einzelheiten und romantischem Kitsch, verpackt in einer privaten nationalen Seifenoper. Es geht um nichts anderes als die moralische Integrität des Präsidenten. Verhandelt wird diese jedoch jenseits der politischen Ebene, fern von Welfare-Reform und Bomben auf den Sudan und unterhalb der Gürtellinie.

Die Brisanz des Dokuments liegt weniger in den nüchternen Ergebnissen des Untersuchungsausschusses, demzufolge Clinton unter Eid gelogen, die Untersuchungen behindert und dabei seine Macht als Präsident mißbraucht hat – Grund genug für Starr, eine Amtsenthebung nahezulegen. Seit der halbherzigen TV-Entschuldigung Clintons im August reißt das keinen mehr vom Hocker. Was die amerikanische Öffentlichkeit bewegt, ist ein ganz bestimmter Ausschnitt des Internet Dokuments: Monica Lewinskys detaillierte Beschreibungen der sexuellen Kontakte zwischen ihr und dem Präsidenten. Inklusive Oralsex, verhinderter Ejakulationen und Zigarren, die offensichtlich als Sextoys Verwendung gefunden haben. Mit Internet-Anschluß ausgerüstet, sitzt die gesamte Nation in der ersten Reihe.

Und das alles wird wohlgemerkt in einer Gesellschaft breitgetreten, die nicht gerade für ihren offenen Umgang mit Sexualitat bekannt ist. Kein Wunder also, daß die Baltimore Sun eine Ratgeber-Kolumne für besorgte Eltern eingerichtet hat. Überschrift: „Wie erkläre ich den Sexskandal meinem Kind – erfahrene Psychologen geben Tips“. Laut Zeitungsberichten fragen sich alarmierte Eltern momentan vor allem, wie sie ihre Internet-begeisterten Sprößlinge am geschicktesten vom Computer fernhalten sollen. Trotz all dieser Widrigkeiten sind die Reaktionen auf die grundsätzliche Entscheidung, den Bericht per Internet zu veröffentlichen, zumeist positiv: Die Webpage mit dem Starr-Bericht wird von vielen als Erfüllung des Rechts auf Information angesehen und somit als Teil der amerikanischen Demokratie-Tradition.

Einen Tag nach Veröffentlichung des Bericht kann man in kein Geschäft gehen, an keiner Bushaltestellen stehen, ohne in ein Gespräch über Bill and Monica verwickelt zu werden. „Die Leute haben ein Recht darauf zu erfahren, was wirklich passiert ist. Schließlich ist Clinton der Präsident der Vereinigten Staaten“, erklärt eine Boutiquebesitzerin. „Was soll das für ein Recht sein? Das Recht auf anderer Leute privaten Schweinekram? Ungefähr jeder Vierte von uns hier kann nur froh sein, momentan nicht der Präsident zu sein – sonst säßen wir ganz schön in der Klemme“, kontert eine Kundin.

Auffallend ist, daß sich beim Verfolgen dieser präsidialen Seifenoper eigentlich niemand entspannen kann: Es spielt keine Rolle, ob die Leute sich von den Untersuchungen mitreißen lassen oder ob sie ironische Distanz wahren: ein schlechter Beigeschmack bleibt.

Schließlich sind sich die meisten einig, daß es eigentlich dringendere Dinge gäbe, auf die sich die Öffentlichkeit konzentrieren sollte. Und hinter den meisten Gesprächen steht ausgesprochen oder nicht die Frage, was dieser kollektive Voyeurismus eigentlich bedeutet. Die eigene Komplizenschaft, der man sich nur schwer entziehen kann, verstärkt bei vielen nur das Gefühl, auf irgendeine Art manipuliert zu werden.

Einige Männer in einer Downtown-Bar unterhalten sich darüber, daß der Präsident und sein Amt nunmehr völlig dem Spott der Öffentlichkeit preisgegeben sind. Einer von ihnen fragt teils amüsiert, teils nachdenklich inmitten all der Lächerlichkeit, Tragik und Absurdität: „Kann mir mal einer sagen, wie sich eine Gesellschaft noch selber ernst nehmen kann, wenn die Zeitungsschlagzeilen die Ejakulationen ihres Präsidenten behandeln?“ Tiziana Zugaro, Baltimore

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen