Analyse: Zeroual gibt auf
■ Die AlgerierInnen dürfen vorzeitig einen neuen Staatspräsidenten wählen
Algeriens Präsident Liamine Zéroual schmeißt die Brocken hin. In einer Fernsehansprache gab der Exgeneral am Freitag abend vorgezogenen Neuwahlen bekannt. Statt wie geplant im November des Jahres 2000 werden die AlgerierInnen spätestens im Februar 1999 an die Urnen gerufen. Eine Begründung blieb Zéroual schuldig.
Am härtesten trifft der überraschende Rückzug die Partei, die Zéroual März 1997 gründen lies: die National-Demokratische Versammlung (RND). Ein neuer Kandidat aus den Reihen der wichtigsten Kraft der Regierungskoalition ist nicht in Sicht. Bis vor wenigen Wochen schien noch sicher, daß Zérouals persönlicher Berater, der mächtige General Muhammad Betchine in die Fußstapfen des Präsidenten treten würde. Doch dann wurde der in einer Pressekampagne regelrecht demontiert. Hinter der Kritik steckte wohl ein Teil der Armee, denen der Präsidentenpalast zu mächtige geworden war. „Wenn er geht, dann gehen wir beide“, stellte sich Zéroual damals schützend vor seine Nummer zwei.
Als zweiter Anwärter wurde in den Reihen der RND der derzeitige Premierminister Ahmed Oujahia gehandelt. Doch auch er ist umstritten. Die Vertreter des Gewerkschaftsdachverbands UGTA innerhalb der RND laufen gegen ihn Sturm. Als Vollstrecker der zéroualischen Liberalisierungspolitik fiel ihm die Aufgabe zu, das vom Internationalen Währungsfonds diktierte Umstrukturierungsprogramm umzusetzen. Über 500 Betriebe wurden geschlossen, 80.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Die UGTA macht mittlerweile Front gegen Oujahia. Selbst über Generalstreik wird nachgedacht.
„Überdruckventil“ nennen die Menschen auf der Straße zynisch Premier Oujahia. Sie hatten erwartet, daß Präsident Liamine Zéroual den Premier noch in diesem Herbst zum Rücktritt bewegen könnte, um mit der Bildung einer neue Regierung die angespannte Situation zu beruhigen. Doch das der große Kapitän selbst den Hut nehmen könnte, daran hatte keiner gedacht.
Solange sich Zéroual über die Gründe seines Rücktritts ausschweigt, werden die Spekulationen nicht abreißen. „Zéroual brach unter den Widersprüchen in seinem eigenen politischen Lager zusammen“, analysiert die Tageszeitung al- Watan die verfahrene Situation innerhalb der RND. Doch in Algerien werden die Geschäfte der Macht noch immer hinter den Kulissen ausgemauschelt. Dabei rollten immer wieder Köpfe. „Das Gewicht der Apparate scheint größer gewesen zu sein, als die Kraft der verfassungsmäßigen Ordnung“, heißt es deshalb in der Tageszeitung Le Matin über Zérouals Rücktritt. Auf dem Titelblatt prangt in großen Lettern: „Verdeckter Staatsstreich“. Reiner Wandler
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