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Arbeitslose wollen nur Arbeit

■ Zerfleddert und kraftloser als erhofft ging am Wochenende die Protestkampagne der Erwerbslosengruppen zu Ende. Viele Arbeitslose demonstrieren nicht – sie hoffen auf einen Job

Berlin (taz) – Mit Kundgebungen in sechs Städten gingen am Samstag die seit Februar laufenden Protestaktionen von Gewerkschaften und unabhängigen Gruppen gegen die Massenarbeitslosigkeit zu Ende. In Berlin, Dresden, Dortmund, Hannover, Nürnberg und Schwerin bekräftigten die Gewerkschaften auf Kundgebungen vor Zehntausenden Zuhörern ihre Forderung nach einem Politikwechsel und griffen die Regierung scharf an. „Unser Land braucht einen Neuanfang mit einem fairen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern“, rief der Vorsitzende des DGB, Dieter Schulte, auf der zentralen Kundgebung in Dortmund vor 15.000 TeilnehmerInnen.

Eigentlich hatten die in Bielefeld ansässige Koordination der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen und die regionalen Bündnisse eine zentrale, bundesweite Aktion kurz vor der Bundestagswahl geplant. Dazu kam es schließlich nicht. Angela Klein vom Berliner Runden Tisch für Erwerbslosenproteste macht dafür den DGB verantwortlich. Dieser habe auf dezentrale Aktionen gedrungen, weil man im Gegensatz zu den unabhängigen Gruppen vor allem der SPD und dem von ihr propagierten Bündnis für Arbeit Rückenwind blasen wollte.

Nicht erst zur Abschlußaktion, sondern schon vor Monaten hatte die Spaltung den Protesten einen Teil ihrer Kraft geraubt. Angestoßen von den mitunter radikalen Aktionen der französischen Arbeitslosen, waren die deutschen Demonstrationen am 5. Februar diesen Jahres gestartet. Die Zahl der Arbeitslosen strebte damals auf den deutschen Rekord von fünf Millionen zu. So strömten im Februar 40.000 Menschen vor die Arbeitsämter in rund 100 Städten, um mit der Bürokratie „französisch zu reden“. Unter großem Interesse der Medien nahm der Sturm der Entrüstung zunächst zu. Doch mit dem Sommer setzte die Protestflaute ein. Kamen in Berlin 2.000 Leute zum ersten Aktionstag, waren es im August kaum noch 100. Der harte Kern der AktivistInnen war damit unter sich – und sinniert nun, warum das große Feuer nicht entfacht wurde.

Einiges deutet darauf hin, daß die Formen und Inhalte des Protests sowie die Befindlichkeit vieler Erwerbsloser nicht zusammenpassen. „Die Arbeitslosen wollen arbeiten, mehr nicht“, bringt Klaus Grehn, Chef des Arbeitslosenverbands, den Interessenunterschied auf den Punkt. Wer beim Arbeitsamt einen neuen Job begehrt, wird sein Heil in Anpassung an Qualifikationen, Bezahlung und Arbeitszeiten suchen. Protest auf der Straße, Aktionen zivilen Ungehorsams gar, sind ungefähr das Gegenteil davon.

„Trotzdem“, so meint Angela Klein vom Runden Tisch, „sind die Aktionen nicht gescheitert.“ Durch achtmonatige Arbeit sei eine Infrastruktur von Menschen und Gruppen entstanden, die den Arbeitslosen „eine Stimme geben“ könnte. Der nächste Protesttermin steht schon fest: Zum Weltspartag am 30. Oktober fordern die Initiativen die Neuverteilung des Reichtums. Hannes Koch

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