: Herbstspaziergang Von Joachim Schulz
Natürlich würde ich von selber nie auf die Idee kommen, einen Herbstspaziergang zu machen. Wenn der Sommer mit Kurs auf die südliche Erdhalbkugel abgedampft ist, lebe ich nur noch gezwungenermaßen in diesen Breiten. Ich ziehe mich auf mein Sofa zurück, schiebe die Schmollippe vor und erfreue jeden meiner Besucher mit einer wüsten Schimpftirade gegen den Herbst.
Denn was hat der Herbst uns zu bieten? Nichts als Dauerregen, schlechte Laune und eine Armee von ungebetenen Logiergästen, die unsere oberen Atemwege erstürmen und einen Mordsspaß daran haben, uns in ein röchelndes, von Husten, Schnupfen und Fieber geplagtes Wrack zu verwandeln. Aus dem Haus jedenfalls gehe ich nur, wenn mein Vorrat an Antidepressiva mal wieder aufgebraucht ist und ich beim Bierverkäufer an der Ecke Nachschub holen muß.
Aber ich habe viele merkwürdige Freunde mit vielen merkwürdigen Spleens, und deshalb ist es gar kein Wunder, daß auch ein professioneller Herbstfan dabei ist, der durchaus gewillt ist, mich mittels eines Herbstspaziergangs von den Schönheiten seiner Lieblingsjahreszeit zu überzeugen. Und weil er von unser aller Bauherr mit einer beachtlichen Oberarmmuskulatur ausgestattet wurde, bereitet es ihm überhaupt keine Mühe, mich aus dem Sofa zu zerren und ins Freie hinauszudrängeln.
Im Auto hält er mir jedenfalls erst einmal einen ausführlichen Vortrag über die phänomenale Schönheit des Indianersommers in Massachusetts. „Sind wir hier etwa in Massachusetts?“ knötere ich ihm dazwischen. „Und ist nicht der ganze Himmel vollgepackt mit dicken Wolken?!“ Doch derlei Einwände wischt er ohne viel Federlesens beiseite, weshalb es mich denn auch nicht erstaunt, daß er den feinen Nieselregen nicht wahrzunehmen gewillt ist, der unweigerlich einsetzt, nachdem wir das Auto auf einem Waldparkplatz abgestellt haben und die ersten Schritte gelaufen sind. „Das ist nur die höhere Luftfeuchtigkeit im Wald“, brummt er und schiebt mich weiter.
Mithin verbuche ich es als einen kleinen Triumph, als es kurze Zeit später richtig zu pladdern beginnt. Doch wirklich freuen kann ich mich darüber nicht, denn auch von dieser Verschärfung der klimatischen Umstände läßt Raimund sich nicht beirren. „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung“, knurrt er, ehe er seine High-Tech-Jacke bis auf ein winziges Guckloch zuknöpft und somit nur mir das Wasser oben in die schlechte Kleidung herein- und unten wieder hinausläuft.
Am Ende aber kommt bei unserem Unternehmen doch noch ein dicker Batzen Genugtuung für mich heraus, denn schließlich muß auch sein auf Nordpolexpeditionen getesteter Anorak vor dem fiesen deutschen Herbstregen kapitulieren. Groß ist deshalb schon die Befriedigung, als ich unsere Zähne auf dem Rückweg zum Wagen im Gleichtakt klappern höre.
Doch als ich bei einem Anruf zwei Tage später nicht nur erfahre, daß auch er von den ungebetenen Logiergästen heimgesucht worden ist, sondern er überdies meine Bemerkung „Ganz gnoße Knasse, so ein Henbstspaziengang, nicht?“ nur mit einem kapitalen Hustenanfall kontern kann, da empfinde ich sogar ein bisher nicht gekanntes Gefühl von herbstlichem Glück.
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