piwik no script img

„Ich bin Polizei“

„Night Train“: Martin Amis als Thrillerautor  ■ Von Mariam Lau

Martin Amis gehört zu den meistgehaßten Autoren der englischen Literatenszene. Als er vor einigen Jahren einen exorbitanten Vorschuß auf seinen Roman „Information“ bekam, waren die Vorwürfe Legion: Als Sohn des berühmten Schriftstellers Kingsley Amis habe er es zu leicht gehabt. Er habe sich in Amerika für Unsummen das Gebiß restaurieren lassen. Er habe eine liebevolle englische Ehefrau und zwei Kinder gegen eine junge, reiche Amerikanerin eingetauscht. Diese sei es ja, die ihn betöre, Unsummen für strahlendes Zahnwerk auszugeben! Auch sei er von einem honorigen englischen Agentenbüro zu einem in New York desertiert, dessen Chef in der Branche nur „Der Schakal“ heißt. Er verderbe mit seinem Geschäftsgebaren die guten Sitten des Literaturbetriebs endgültig und mache es anspruchsvolleren, weniger leicht vermarktbaren Kollegen unmöglich, überhaupt gedruckt zu werden. Kurz: Amis betreibe eine Art „literarischen Vaterlandsverrat“.

Freunde von Amis – Salman Rushdie, Kazuo Ishiguro oder Hanif Kureishi – vermuteten damals, 1995, Amis sei nur der Blitzableiter für ein Ressentiment, das sich eigentlich gegen sie, die unbritischen „Eindringlinge“, richte, die mit ihrem Exotenbonus immer so mir nichts, dir nichts den begehrten Booker-Preis abräumten.

Was auch immer der Grund für die Ranküne war, mit seinem neuen Roman „Night Train“ gibt Amis ihr neue Nahrung. Das tut er gewiß nicht ungern: Galliger Neid unter Schriftstellern, der bisweilen zu ausgewachsener Paranoia, Mordgelüsten und abstrusen Rachefeldzügen führt, war genau das Thema von „Information“. Gern hat er die Schauplätze seiner Romane nach Los Angeles verlegt, dem Anti-London schlechthin. Neid, Angst, Rachsucht, Gier bilden das Fluidum, in dem er seine kalten Fische schwimmen läßt.

„Night Train“ wird die Teetassen erneut erbeben lassen, denn es ist das amerikanischste, leichteste und standardisierteste Buch, das Amis je geschrieben hat. Es ist ein Thriller, aus dem noch die letzten Kinoerlebnisse in Fetzen heraushängen: „L. A. Confidential“, „Heat“, „Seven“, „Das Schweigen der Lämmer“. Man kann es keinesfalls am Tag lesen. Es ist ein One-night-stand, und es schadet nichts, wenn ein Whiskeyglas dazu klimpert. Auftritt Detective Mike Hoolihan. Mike ist eine Frau, die sich mit den Worten vorstellt „Ich bin Polizei“. Sie berichtet uns über ihren schlimmsten Fall und entschuldigt sich schon im voraus für das Ende. Jennifer Rockwell, die schöne, kluge und umwerfend generöse Tochter von Mikes ehemaligem Vorgesetzten und Schutzpatron Colonel Rockwell, hat sich drei Kugeln in den Kopf geschossen. Niemand, am allerwenigsten ihr Vater, möchte an einen Selbstmord glauben. Mike Hoolihan soll es richten.

Mikes Ton ist definitiv hardboiled, dabei aber durchaus gereimt: „Ich hab' sie alle gesehen: die Runterspringer und die Aufklatscher, die Hirnmatscher, Stromtatscher, Verbluter, Absäufer, Aufplatzer, Abreißer... Aber von allen Leichen, die ich gesehen habe, ist mir keine so hängengeblieben, so im Magen hängengeblieben wie die Leiche von Jennifer Rockwell.“ So weit, so vertraut. Aber es wäre kein Thriller von Amis, wenn er sich nicht ganz schnell mit seltsamen Freaks bevölkern würde, die alle auf ihre unberechenbare Weise die rationale Aufklärung des Falles durchkreuzten. Unser Mike ist so ein Monster: eine riesige Frau, die alle versehentlich erst mal mit „Sir“ ansprechen, die ihre Eltern nicht kannte und die nur ein Leberkoma davon abgehalten hat, sich kaputtzusaufen. Soll der Name an „Hooligan“ erinnern? Sie legt Make-up auf ihr Gesicht „wie jemand, der eine Theke abwischt“. Jennifer Rockwell ist die Schöne zu Mikes Biest, zusammen geben sie ein Großstadtpaar wie aus einem Dickens-Roman. Um sie herum Paulie No, ein chinesischer Pathologe, der seinen Job ein bißchen zu innig liebt, Phyllida Trounce, eine Manikerin aus dem Moon Park, Bax Denziger, ein selbstverliebter Astronom, und Tom Rockwell, ein Vater, der sich selbst mit fingiertem Beweismaterial zu täuschen versucht.

Wenn eine solche Szenerie voller Indizien liegt, wird man schnell mißtrauisch. Mike findet Hinweis auf Hinweis, daß es doch ein Mord war, aber die Kette ist immer nur einen Grashalm lang. Mike verzweifelt. Düster und düsterer werden die Aussichten. Der Nachtzug, der wieder und wieder an Mikes Wohnung vorbeifährt, entpuppt sich schließlich als das einzig bleibende „Motiv“.

Martin Amis: „Night Train“. Roman. Deutsch von Joachim Kalka. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1998, 173 Seiten, 34DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen