piwik no script img

■ StörzeileReisen bildet

In Hamburg, so wissen Se-natsinsider, gehen 50 Prozent des Arbeitstages eines Ersten Bürgermeisters für „Intrigeneinfädelung und Intrigenabwehr“ drauf. Weitere 40 Prozent sind Stehempfängen, Small talk und Repräsentieren gewidmet. Bleiben 10 Prozent für echte Politik. Spötter frotzeln: So sieht die Politik auch aus. Aber, weit schlimmer noch: Wo bitteschön bleibt da Zeit für Weiterbildung, jenes ständige Lernen, ohne das Spitzenkräfte heutzutage blitzschnell dem Prädikat „mega-out“ anheimfallen?

Rudolf Scharping radelt durch den Taunus. Das stärkt Stehvermögen und Gehirndurchblutung. Gerhard Schröder lernt brav als Dauerlehrling bei VW-Chef Piech. Henning jedoch ist ihnen allen über. Er bildet sich beim Reisen. Und das – bitte keine Häme! – nicht etwa mit Kodak instamatic und Kulturschnappschüssen, sondern mit wachem Geist und offenem Ohr für die brennenden Fragen der Zeit. Beispiel Oslo: Autofahrer zahlen Geld, um in die Stadt zu fahren.

Henning war echt baff. Warum, so fragt er, machen wir das nicht auch in Hamburg? Daß sein grüner Kontrahent Martin Schmidt, älter, weiser und mit viel mehr Zeit für stetes Lernen ausgestattet, diesen Vorschlag schon seit mehr als einem Jahr auf technisch und konzeptionell weit höherem Niveau featurt, ist Voscherau entgangen. In Hamburg hat Henning eben echt keine Zeit zum Zuhören.

Ganz anders beim Reisen. Doch da fehlt ein pfiffiger Reisemarschall, der die Reiserouten präzise den stadtväterlichen Bildungslücken anpaßt. Wie wär's zum Beispiel mit Straßburg? Da regiert eine sozialistische (!) Bürgermeisterin, die mit dem blitzschnellen Bau einer Straßenbahn (5 Jahre vom Versprechen bis zur ersten Fahrt) bewies, wie frau Wahlen gewinnt. Oder Oberstdorf? Da herrscht unangefochten ein beliebter (!) CSU-Bürgermeister, der in Sachen autoarme Innenstadt und funktionstüchtiger Regionalverbundverkehr total spannend drauf ist. Oder Wuppertal, die Johannes-Rau-Stadt, Sitz von Deutschlands modernsten städtischen Verkehrsbetrieben, die unter ihrem Chef Zemlin zeigen, wie Effizienz und Ökologie zusammenfinden?

Nicht zu vergessen die Regiokarte in Freiburg, Amsterdams vollautomatische Fahrradhäuschen, die Fahrradhauptstraßen in Delft, die Altstadt von Bologna ... Vielleicht sollte Voscherau es einfach machen wie Karl der Große und nur noch auf Reisen regieren. Florian Marten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen