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Offenbar nur noch Gene im Kopf –betr.: „Das Geflüster der Gene“, taz vom 26.10.98

Hat es die taz nötig, fast eine Seite für diese öde Ausschmückung der nun wirklich nicht neuen Erkenntnis vom Geneinfluß auf kulturelle Gegebenheiten zu verschwenden? Wenn der Autor wenigstens neue Erkenntnisse von Natur/Kultur-Verschränkungen aufgetischt hätte. Aber seine sensationistisch bioreduktionistische Aufblähung der ollen Kamelle vom Geneinfluß ist mit nichts als Geblubberluft gefüllt. Peinlich vor allem die mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Schlußfolgerungen: 1. Der Mann an und für sich ist eine gengesteuerte Bestie. Daraus folgt 2. Klitorisbeschneidung oder Vergewaltigung sind nur natürlich. Beziehungsweise umgekehrt: Nichtpatriarchalische Kultur ist Entfremdung von „der“ Natur. Also: 4. „Afrikanische Stämme“ oder der Vergewaltiger an sich sind nur nicht kultiviert beziehungsweise von „der“ Natur entfremdet genug. (Hier zeigt sich auch die nahe Verwandtschaft zwischen allgemeinem Biologismus und Rassismus.)

Es gibt aber nicht „die“ Natur. Auch nicht „die menschliche“ beziehungsweise „männliche“ Natur. Die verändert sich ständig. Zum Beispiel mit der Veränderung unserer Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse und damit der Kulturen. Sollte es schon vergessen sein, daß gegebenenfalls „auch“ Männer extra zu – potentiellen – „Bestien“ (Soldaten) gedrillt werden müssen? Hans-Hermann Hirschelmann

Ein Gutes haben Beiträge wie der von Bas Kast immer aufs neue: Sie vergewissern darüber, daß der Biologismus über die Erbärmlichkeit seiner Argumentation noch immer nicht hinausgewachsen ist. Das ist – bei den Unsummen, die die Forschung über kriminelle, geniale, schwule Gene usw. verschlingt – doch immerhin beruhigend.

Was Kast abliefert, ist in der Tat das sattsam bekannte, reaktionäre Gewäsch, das mit den angeblich dominanten Reproduktions-“Strategien“ von männlichen Genen am Ende nur eins bezweckt: die Entschuldigung sexueller und sonstiger Gewalt. [...] Um zu solch großartigen Simplifikationen zu gelangen, muß fast die komplette Kulturgeschichte der Menschheit ausgeblendet werden. Die Gesellschaften, denen Kast seine Einsichten entnimmt, sind seine eigene sowie die der afghanischen Taliban; diese sind in der Tat Patriarchate. Was aber ist nun mit den Ergebnissen jahrzehntelanger Feldforschung über geschlechtssymmetrische beziehungsweise geschlechtsegalitäre Gesellschaften? Was ist mit den (islamischen!) Minangkabau, mit Irokesen, Hopi, Montagnais-Naskapi und Inuit, mit Mbuti oder Kung San? Aber halt! Diese Ethnie kennt Kast! Die San, von denen Ute Luig gezeigt hat, daß sie „zu jenen Gesellschaften gehören, in denen sich die Gleichwertigkeit der Geschlechter in gleichen Zugangschancen zu allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen ausdrückt“, was nicht zuletzt sexuelle Selbstbestimmung der Frauen impliziert, diese San also geraten Kast nach alter Kolonialbeamten-Sitte als „Buschmänner“ unter die Feder, welche „Klitorektomien vornehmen“. In seinem nächsten taz-Essay wird Kast vermutlich darlegen, daß die sibirischen „Neger“ in ihrer antarktischen Heimat ständig Atommüll in die Savanne kippen. Die Nähe des soziobiologischen Diskurses zum Rassismus zeigt sich nicht nur in der Abschätzigkeit gegenüber anderen Kulturen, sondern genauso auch in der Unkenntnis über sie.

Früher lernten wir im Biologieunterricht unter anderem noch, in unserem Schädel befinde sich ein gewisses neuronales Netz, das man auch als Hirn bezeichnete und das unter anderem dem Denken dienen sollte. Heute hat mancher offenbar nur noch Gene im Kopf. Rüdiger Haude, Aachen

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