: Musik, zwo, drei, vier
„Als die Bilder singen lernten“: Der diesjährige CineGraph-Kongreß im Metropolis tanzt um die Frühgeschichte des Musikfilms ■ Von Tobias Nagl
Filme, in denen Cowboys plötzlich anfangen zu singen, hunderte von Nummer-Girls sich zu Blütenmustern formen oder eigentlich ganz zurechnungsfähige Hauptdarsteller synchron zur Musik plötzlich die Wände hochsteppen – nun, jedermanns Sache ist das nicht. Allzuweit ist vielen Zuschauern das Musical, der Revuefilm und erst recht die im Marsch-Rhythmus trampelnde Film-Operette deutscher Provenienz von der realistischen Filmsprache entfernt. Was jedoch bisweilen so verstaubt wirkt, war einst Teil einer ökonomischen, gesellschaftlichen und technologischen Modernisierung. Revuefilme kamen in Zeiten der Armut einem falschen Versprechen auf die Auflösung aller Widersprüche durch Musik ebenso gleich wie einem kinematografischen Aufstand gegen die Zweckorientiertheit des Alltags.
Doch so widersprüchlich das Genre ist, so sehr kann es auch faszinieren. Von dieser Faszinationskraft legt jetzt ein kenntnisreich ausgewählte Reihe im Metropolis Zeugnis ab, die vergessene Perlen der Filmgeschichte versammelt. „Als die Bilder singen lernten – Krise und Goldenes Zeitalter des internationalen Musikfilms 1925-1938“ findet als öffentliches Beiprogramm im Rahmen des 11. Internationalen Filmhistorischen Kongreß des privaten Hamburger FilmwissenschaftlerInnen-Vereins CineGraph vom 5. bis 8. November im Gästehaus der Hamburger Universität statt.
Kaum mehr kann man sich heute vorstellen, was für einer Revolution es gleichkam, als die Bilder, die gerade gelernt hatten sich zu bewegen, auch noch zu sprechen, gar zu singen, begannen. „You ain't heard nothing yet“, rief der Varieté-Star Al Jolson in The Jazz Singer lippensynchron seinem verdutzten Publikum 1927 prophetisch zu, das gerade dabei war, die Vermählung von Ton- und Stummfilm auf einer Leinwand zu erleben. Das technologische Spektakel des Tons, lernten Produzenten in Hollywood und Berlin schnell, ließ sich am leichtesten mit musikalischen Spektakeln im Kinosaal vorführen. Und so blieb der Jazzsänger, wenn er nicht sang, noch stumm.
Dabei waren die mit Varieté-Programm und Orchesteruntermalung dargebotenen Stummfilme ja alles andere als stumm gewesen – Musik war für ihre Wirkung geradezu wesentlich. Ludwig Bergers deutsche Stummfilm-Operette Ein Walzertraum (1925), vom charmanten Opium-Salonorchester live begleitet, führt dies eindringlich vor. Mit reichlich visuellem Gespür erzählt Berger eine triviale Dreiecksgeschichte um die erotischen Versprechen des Wiener Walzers. Filmisch ist es dabei gerade die Kombination von bildlicher und musikalischer Bewegung und erzählerisch die gut dosierte Ironie wider den Abrutsch ins Nostalgische, aus der Ein Walzertraum seinen Reiz gewinnt.
Als sich später eine bezeichnenderweise „Fossil“ nennende „Internationale Artisten-Loge“ gegen die „Konservenbüchsen-Apparatur“ stark machte, gelang es dem französischen Avantgardisten René Clair bald, den Beweis zu führen, daß der Tonfilm kein „schlecht konserviertes Theater bei erhöhten Preisen“ sei. Sein Unter den Dächern von Paris (1930) ist eines der ganz großen Highlights der Reihe. Clairs Handhabung der Tonebene in diesem leichten love triangle aus dem Pariser Gassen- und Gauner-Milieu verzichtet auf jeglichen realistischen Anspruch, setzt Klang, wie Godard 35 Jahre, später als unabhängiges darstellerisches Mittel ein, und bleibt dennoch durch und durch ein Musik-Film. Szenen finden so stumm durch eine Glastüre statt und ihre Dramatik wird fortan akustisch entwickelt, während eine wundervolle Kamerafahrt durch eine Mietskaserne von der unwiderstehlichen Kraft des zum Ohrwurm gewordenen Schlagers berichtet. Von der war man auch in den wirtschaftlich gebeutelten Studios überzeugt, die ihre Profite durch Verwertung der Musikrechte festigen sollten. Daß aber der Übergang zum Ton nicht nur eine Zeit der Krise, sondern auch enormer Kreativität war, kann man im Metropolis sehen – und hören.
Unter den Dächern von Paris : Do, 5. November, 19.30 Uhr. Wir schalten um auf Hollywood: Fr, 6. November, 19.30 Uhr. Das Lied ist aus : Fr, 6. November, 19.30 Uhr; Ein Walzertraum: Fr, 6. November, 21.15 Uhr. Das Lied einer Nacht: Sa, 7. November, 17 Uhr. Das Kabinett des Dr. Larifari: Sa, 7. November, 19 Uhr. Lustige Burschen: Sa. 7. November 21.15 Uhr. Lovewaltz: So, 8. November, 17 Uhr. The Kings Steps Out: So, 8. November, 19 Uhr. Ich bei Tag und Du bei Nacht: So, 8.November, 21.15 Uhr, Metropolis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen