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Über den Holzweg zum Neuanfang

■ Mit der Uraufführung von Irina Pauls Choreographie „Moor“ brechen jetzt in Oldenburg neue Tanztheaterzeiten an

Was für eine Bescheidenheit. Beim Schlußbeifall braucht Irina Pauls lange, bis sie sich auf die Bühne wagt. Und als sie endlich erscheint, stellt sie sich ganz am Rand in die Reihe, als sei sie bloß Regieassistentin oder Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Doch tatsächlich ist Irina Pauls die neue Tanztheaterchefin am Oldenburgischen Staatstheater. Und es ist nach einem kaum getrübten Genuß ihrer ersten Oldenburger Choreographie namens „Moor“ ihrer Mimik wie ihrem Stück zunächst nur schwer abzulesen, wie viel Kalkül sich hinter dem bescheidenen Auftritt verbirgt. Aber es sind auch Oldenburger Verhältnisse.

Seit Menschengedenken wird unter den Engelsbildern und vergoldeten Stuckverzierungen des großen Hauses im Oldenburgischen Staatstheater Ballett getanzt. Doch seit im Sommer 1998 die Chefchoreographin Ingrid Collet nach 25 Jahren abgetreten und die Nachfolgerin Irina Pauls gekommen ist, brechen in Oldenburg andere Zeiten an: Vor vollbesetztem Haus ist seit der Uraufführung am letzten Wochenende mit dem „Moor“-Stück ganz eindeutig Tanztheater im Barockbau zu sehen. Und daß dieser Neuanfang mit Spannung erwartet wurde, war vor der Uraufführung im Theater deutlich spürbar.

Irina Pauls, die aus Leipzig nach Oldenburg kam und als Choreographin unter anderem mit der Schauspielregisseurin Konstanze Lauterbach zusammengearbeitet hat, scheint ihr neues Publikum so bewußt wie behutsam mitnehmen zu wollen auf den Weg zu einer anderen Ästhetik. So ist schon das Thema „Moor“ eine Reverenz an die Landschaft Nordmitteleuropas und eben auch Norddeutschlands. Die ausgewählte und live vom Oldenburgischen Staatsorchester gespielte Musik von Johann Sebastian Bach und dem schon mehrfach für Pauls tätigen Komponisten Marcus Ludwig hat ebenfalls nicht das Zeug zum Schreck. Es sei denn, man hört aus der soliden Interpretation des Bach-Cocktails die Unsauberkeiten heraus oder wundert sich über den „Sound“ aus dem Orchestergraben, der bei den im Tanztheater üblich gewordenen CD-Einspielungen nun mal satter klingt.

Doch am Anfang ist nur Stille. Ein neunköpfiges Ensemble erscheint auf der Bühne, in deren hinterem Teil der Bühnenbildner Joachim Griep einen Wald aus runden Stelen errichtet hat. Nur die Tüllhemdchen der TänzerInnen mögen an balletthafte Zierlichkeiten erinnern, nicht aber ihre Bewegungen: Auf einem Bein stehend und das andere angewinkelt tanzen sie ein Mobile aus abrupten Stellungswechseln. Sehr schön, wie Irina Pauls mit veränderten Konstellationen spielt und die Dynamik langsam steigert. Nicht schön aber ist, wie oft es hakelt und wie viel an notwendiger Synchronität in dieser Szene fehlt. Möglicherweise stehen dem Ensemble noch ungezählte Extra-Trainingsstunden bevor. Wahrscheinlich aber war es schlicht nervös, denn diese technischen Unzulänglichkeiten blieben später aus.

Dafür erweist sich Irina Pauls als überaus einfallsreiche Choreographin. In einem freien Fluß der Assoziationen streift sie „Moor“-Sagen, -Legenden und -Wirklichkeiten. Mal läßt sie Geisterwesen auftreten und mal Witwen oder Liebespaare. Auf die witzigen Szene mit rührend parodierten Dorfschönheiten und Bauerntölpeln folgt eine verspielt kraftvolle mit zwei Tänzerinnen. Von all dem unbeeindruckt kreuzt eine Tänzerin auf einem Holzweg die Bühne und erinnert in ihrer symbolischen Dauergeste an die Mühen der Kultivierung des Moores, bis am Ende einer mit dem Rasenmäher kommt und das ganze Geschehen entzaubert.

Trotz der Ideenfülle ist diese Choreographie oft zu sehr Nummernprogramm. Szene folgt auf Szene wie sich ein Musikstück an das nächste anschließt. Da knüpft sich etwa eine Frau mit einem Seil an einer Stele fest und ringt vergeblich um Freiheit. Wenig später macht ein anderer sie los. Doch aus dieser Begegnung entspinnt sich nichts. Sie ist nur ein Vorwand, damit die Frau am Seil abtreten kann. Mehrfach verstreichen solche Szenenwechsel ungenützt.

Gleichwohl zeigt Irina Pauls mit ihrem Einstand, daß man für gutes Tanztheater fortan auch einen Ausflug nach Oldenburg unternehmen kann. Das Oldenburger Publikum reagierte fast ausnahmslos mit stürmischem Beifall, als hätte es auf diesen Neuanfang gewartet.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen am 6., 15., 19. und 24. November jeweils um 19.30 Uhr im Oldenburger Theater

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