: Walesa in Bremen
■ Der Mann, der Geschichte schrieb, tingelt jetzt um die Welt und besucht Wohltätigkeitsbälle / Zu sagen hat er heute nicht mehr viel
Die Bitte war erhört worden. Einen Tag vor dem Besuch des ehemaligen Staatspräsidenten Polens, Lech Walesa, startete die Pressesprecherin der Bremischen Bürgerschaft, Ingeborg Russ, einen Rundruf. „Kommen Sie zum Pressegespräch mit Herrn Walesa, ich möchte nicht, daß er so alleine da sitzt.“ Gestern nachmittag warteten die Deutsche Presseagentur, der Weser-Kurier, die Bremer Nachrichten, Radio Bremen, Radio 107.1, der Weser-Report, die Nordseezeitung und die taz auf den früheren Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnosc, die Vorreiterin im Kampf um Freiheit und Demokratie in Polen war und die einen entscheidenden Anteil am Sturz des kommunistischen Systems in Polen 1989 hatte.
Walesa lächelte in die Kameras. Er wolle sich bei den Deutschen für die Unterstützung „in den schweren Zeiten unseres Kampfes“ bedanken, sagte er. „Die Unterstützung war ideal, weder zu stark, noch zu schwach.“ Die Deutschen sollten sich mehr für Europa engagieren. Ein brandaktuelles Thema. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ließ sich bei seinem Staatsbesuch vor wenigen Tagen nicht dazu hinreißen, einen Termin für den Beitritt Polens in die Europäische Union zu nennen. Auch Walesa, der seit September Vorsitzender der von ihm gegründeten Partei Christdemokratie der Dritten Polnischen Republik (ChDRP) ist, wollte sich nicht festlegen. Man solle nicht allzu schnell ein Urteil fällen, warnte er. „Die SPD hatte gute Politiker und die hat sie ja immer noch“, sagte er. „Wir müssen der neuen Regierung ein bißchen Zeit lassen. Wir dürfen zu dieser Zeit nicht allzuviel verlagen. Ich habe Vertrauen aufgrund der Vergangenheit. Beide Seiten möchten das Beste, aber das muß ja auch das Vernünftigste sein.“
Noch vor zwei Jahren strömten die Journalisten aus aller Welt ohne Aufforderung herbei, um den ehemaligen Arbeiterführer bei seiner Rückkehr auf die Danziger Werft zu begleiten. Nachdem Walesa 1995 als Staatspräsident abgewählt worden war, hatte er keinen Anspruch auf eine Pension und kündigte an, er wolle wieder als Elektriker auf der Danziger Lenin-Werft arbeiten. Der ehemalige Arbeiterführer kam damals von zwei Leibwächtern begleitet in einem 280er-Mercedes angerauscht. Er umarmte ehemalige Kollegen und ließ sich sofort wieder beurlauben, um in den USA bezahlte Vorträge zu halten. Das Parlament gewährte dem Ex-Präsidenten doch noch eine lebenslange Pension.
Seitdem jettet der Mann um die Welt. Auch gestern wartete eine schwarze Mercedes-Limousine vor der Bürgerschaft auf Walesa. Auszug aus seinem Terminkalender: 19.30 Uhr Parkhotel, Walesa ist Ehrengast der „Weiß-roten Nacht“. Veranstalter sind die Gesellschaft zur Förderung des polnischen Kultur FORUM e.V., der Deutsch-Polnische-Business Club und die Deutsch-Polnische Gesellschaft Bremen. „Es musiziert die Benny Lehnert-Showband, und es sind neben einer Tombola weitere Überraschungen vorgesehen“.
Kerstin Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen