Zurück in Norddeutschland

■ Ein Plädoyer für das herbstliche Radeln ohne Dynamo-Einsatz auf dem Fußweg und natürlich gegen die Einbahnstraße Von Ulrike Winkelmann

Sie sind wieder da: die tugendsamen SittenwächterInnen, die guten deutschen Hilfs-Sheriffs, die MeisterInnen des konformen Sachverstandes. Der Sommer ist vorbei, die letzten mediterranen Anwandlungen von gelassenem Savoir vivre, die letzten Illusionen des unbeschwerten, sonnenbebrillt-sozialen Daseins auf Hamburgs öffentlichen Plätzen sind vergessen.

Mit den kürzeren Tagen setzt die norddeutsche Realität wieder ein: Sonnenmangel-Depressionen, Rückkehr ins miefige Privatleben und der Ärger über die wahren Feinde der Gesellschaft: Die RadlerInnen ohne Licht, auf den Bürgersteigen, und, am schlimmsten von allen: falschrum in der Einbahnstraße. In schön'ren Tagen aus den offenen Cabriolets an der Ampel gar angeflirtet, werden sie nun wieder angekläfft, wenn sie die Einbahnstraße in Gegenrichtung befahren – in fortschrittlicheren Städten übrigens nicht nur selbstverständlich, sondern legalisiert.

Neulich in St. Pauli: Die Frau hinterm Windschutzglas, die man eben noch als Studienkollegin zu grüßen im Begriff war, reißt das Steuer herum und hält auf die Gesetzesbrecherin zu: Kein Zweifel, die Fahrbahn gehört ihr, und sie will das radelnde Gesindel im Rinnstein zerdrücken wie faules Obst. Scheibe runter: „Das is 'ne Einbahnstraße!“ Ach was. Womit bewiesen wäre, daß weder das Geschlecht noch der Bildungsstand vor automobilem Allmachtswahn retten.

Tendenziell sind es jedoch vor allem der Jeep-Fahrer und selbstverständlich der natürliche Feind der Radlerin, der Taxifahrer, die Zivilisationsbrüche wie das Fahren gegen die Einbahnstraße gnadenlos ahnden. In der nunmehr früh einsetzenden Dunkelheit lassen sie auch die Radfahrerin ohne Licht die volle Konsequenz ihres verantwortungslosen Handelns spüren. Sie sehen sie einfach nicht, dumm gelaufen. Im Abstand von einem Dezimeter rasen sie vorbei und freuen sich im Rückspiegel über Radlerins Bemühen um Balance. Gut, daß sich noch jemand für die Erziehung der Nation zuständig fühlt.

Wo es um Recht und Ordnung auf unseren Straßen geht, stellen sich plötzlich auch mit Balihose und Himalaya-Jacke als Grünwählerinnen getarnte Mütter schützend vor ihre Kleinen: „Das ist ein Bürgersteig, fahren Sie auf der Straße!“ Daß eben jener Bürgersteig vor zwei Metern noch als Fahrradweg gekennzeichnet war, der dann allerdings im normalgrauen Pflaster verlorenging, ist ihr egal. Denn Mopo und Abendblatt haben ihr ja schon längst enthüllt: „Fahrrad-Rowdys“ sind MenschenverächterInnen, die eigentlich dem LKW-Verkehr zum Fraß vorgeworfen werden müßten.

Geahnt haben wir es lange, ihre Allianz mit dem Auto-Verkehr beweist: FußgängerInnen sind auch bloß auf dem Weg vom oder zum Wagen, womöglich einem Jeep. Sollten sie in Zukunft nur einen Fuß auf einen Radweg stellen oder sich an den Ampelübergängen just auf den fünfzig Zentimetern ballen, die den RadlerInnen vorbehalten sind, werden wir sie zur Rede stellen und ihnen aus der Straßenverkehrsordnung vorlesen. Und dann werden wir sie anzeigen. Alle.