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"Es gibt kein gemachtes Bett"

■ Existenzgründung ist der schwierigste Weg. Gespräch mit dem Kasseler Ausbildungsexperten Ulrich Teichler über die Bedeutung und Chancen von Absolventenmessen für Berufseinsteiger

Ulrich Teichler ist Leiter des Zentrums für Berufs- und Hochschulforschung an der Gesamthochschule Kassel.

taz: „Akademiker aller Studienfächer werden von Unternehmen stark umworben“, schreiben die Organisatoren des 10. Deutschen Absolventenkongresses in Köln. Ist das richtig?

Ulrich Teichler: Das Gegenteil stimmt: Trotz vieler Beteuerung sind nicht mehr alle Fächer gleich wichtig. Anzeigenblätter und Werbebroschüren wenden sich fast ausschließlich an Studierende der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften und werden in Hochschulen an diesen Fakultäten verteilt.

Wie erklären Sie sich den starken Anstieg von Absolventenmessen und Jobbörsen?

Die Absolventen sind unsicher, welchen Job sie bekommen und wie sie dann bezahlt werden. Allerdings ist der Aufwand, den Absolventen und Firmen um Arbeitsplätze treiben, größer, als der Arbeitsmarkt es erfordert. Die Jobsituation für Hochschulabsolventen ist nämlich nicht so dramatisch. Prognosen zeigen, daß sich ihre Lage auch langfristig nicht verschlechtern wird.

Sind Absolventenmessen die erste Adresse für den Berufseinstieg?

Ich glaube nicht, daß solche Kongresse von Studenten genutzt werden, die sehr gute Noten haben und die von einer Hochschule mit hoher Reputation kommen. Die Kongresse richten sich eher an Absolventen, die nicht ganz so sicher sind, ob sie einen guten Job bekommen. Solche Börsen gibt es in den angelsächsischen Ländern schon länger, dort sind sie nicht von vornherein die erste Adresse. Diese Länder haben nämlich an den Hochschulen auch Berufsübergangsbüros – „Carreers-Offices“ in Großbritannien und „Placement-Offices“ in den USA. Anstatt solche Kongresse von anderen Ländern zu übernehmen, sollten wir lieber „Carreers-Offices“ einrichten, die engagieren sich auch mehr für ihre Studierenden als etwa die Arbeitsämter.

Die Industrie sieht als Vorbild für die Verzahnung von Studium und beruflicher Praxis die amerikanischen Unis und Privatunis. Ist das ein Modell für Deutschland?

Der Hinweis auf die USA ist völlig irreführend, wenn es um Berufspraktika während des Studiums geht. Denn da ist Deutschland weltweit führend: Wir haben die meisten verpflichtenden Praktika. In anderen Ländern, Japan etwa, gelten solche Praktika sogar als ineffektiv. Wenn wir vom Wunder der privaten Unis in den USA reden, dann meinen wir die guten und reichen, die auch ein großes akademisches Renommee besitzen. Doch die kümmern sich genausowenig um eine Anpassung ihrer Lehre an Wirtschaftsbelange wie unsere öffentlichen Hochschulen. Es gibt in Amerika aber auch viele Privatunis, die kaum akademisches Ansehen genießen und wenig Geld haben. Die entwickeln eine „Was-darf's-denn-sein-Mentalität“ und werden zu Rekrutierungsstätten der Unternehmen. Mit einer solchen Mentalität machen sie sich langfristig obsolet. Dann werden sie in der Wissensgesellschaft durch tertiäre Berufsschulen ersetzt.

Von der Absolventenmesse werden hauptsächlich Ingenieure, Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler angesprochen. Ist das der künftige Arbeitsmarkt für Akademiker?

Akademiker finden in Zukunft nicht nur Arbeit bei den auf der Messe hauptsächlich vertretenen Großunternehmen, wie etwa Andersen Consulting, Bosch, Commerzbank. Zur Zeit entsteht ein dritter Sektor, der weder rein privat noch rein staatlich ist. Es sind neue Typen von Dienstleistungen, Selbständige, Klein- und Mittelbetriebe der neuen Technologien, Organisationen, die sich mit Ökologie, Sozialem und Stadtplanung befassen. Dieser kritische Sektor mit seinen Chancen und Risiken ist wichtig für die Zukunft, für die Wachstumsfrage. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er sich auch in solchen Messestrukturen präsentieren wird. Dort ist eher der Bereich vertreten, der auch in den Zeitschriften zu finden ist, die schon vorher an den Unis herumflogen.

Gibt es auch für Geisteswissenschaftler Jobs auf dem neuen Markt?

Ja, auch sie werden zunehmend im dritten Sektor arbeiten. Sie können bestimmte Komponenten ihres Studiums dort einbringen. Allerdings werden Geisteswissenschaftler feststellen, daß die meisten Jobs nicht so genau auf ihr Profil passen, als wenn sie Lektor in einem belletristischen Verlag werden. Wenn sie aber unterkommen, dann können sie mit dem, was sie gelernt haben, viel anfangen – das haben Befragungen bereits gezeigt.

Der Kongreß bietet ein „Gründer-Forum“. Ist das eine Chance, oder fördern Existenzgründungen das Risiko von Pleiten in wenigen Jahren?

Beides. Ein großer Teil der neuen Existenzgründer wird auf die Nase fallen. Andererseits lernen Studierende in solchen praxisnahen Seminaren, die wirtschaftliche Seite ihres Berufes besser zu managen, selbst wenn sie später Angestellte sind. Allerdings sollten sie sich nicht der Illusion hingeben, sie bekämen dort jetzt Betten, die schon zu Dreiviertel gemacht sind. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß eine Existenzgründung einer der riskantesten Wege in das Berufsleben ist.

Wie stehen die Chancen für Frauen?

Der Kongreß hat eine neue Rubrik „Frau und Karriere“, es wird auch einen Vortrag über „Teleworking“ geben. Bei hochqualifizierten Berufen steht weiterhin die Kommunikation und Organisation vor Ort in der Firma im Mittelpunkt. Der Hausarbeitsplatz wird bei Hochqualifizierten in absehbarer Zeit keine zentrale Rolle spielen. Wir haben auch nach wie vor in Industrie und Handel die Situation, daß für über drei Viertel der Frauen die Kinder ein negativer Karriereknick sind – das zeigen Studien über Schulabsolventinnen. Und ich sehe nicht, daß Telearbeit da der große Rettungsanker wird. Interview: Isabelle Siemes

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