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Die Farbe der Socken

■ Mod oder moderner Klassiker? Paul Weller wäre gerne beides. Eine doppelte Rückschau auf "The Style Council" und Wellers Soloschaffen

Im Frühjahr 1988, so geht die Mär, gewährten The Style Council dem hippen englischen Zeitgeist- Magazin (so nannte man das damals) The Face eine Audienz. Auf die Frage, ob er denn diesen neuen musikalischen Trend namens „Acid House“ kenne, antwortete Interviewhasser Paul Weller, er hätte höchstens Interesse an „Council House“.

Diese despektierliche Haltung gegenüber ihrer Musik fand eine Horde Briten auf Ibiza gar nicht lustig – es waren jene Pioniere, die später als die Erfinder von Rave in die Geschichte eingehen sollten; als diejenigen, die halfen, in Sachen Jugendkultur für eine Umwertung aller Werte zu sorgen. Eine derartige Ignoranz gegenüber ihrer Musik hätten sie ihrem Helden Paul nicht zugetraut.

Einen Monat später gab's Satisfaktion für die Raver: Weller hatte ein Tape mit housigen Tracks von Blaze, Marshall Jefferson und Fingers Inc. zugespielt bekommen – woraufhin TSC (so das Kürzel für „The Style Council“) wenig später „Promised Land“, einen frühen Hit des Chicago-House-Pioniers Joe Smooth, coverten und vom Detroiter Star-DJ Juan Atkins remixen ließen.

Rückblickend eine Geschichte, mit der Weller ziemlich weit vorne war – schwer hip, aber für seine Plattenfirma ein bißchen zu weit vorne. Polydor weigerte sich, das House-Album von TSC zu veröffentlichen – worauf Weller im August 1989 die seit längerem von Krisen geschüttelte Band kurzerhand auflöste.

Das musikalische Corpus delicti liegt jetzt erstmals vor: „The Complete Adventures of TSC“ liefert neben sämtlichen Singles und den vier Alben auch die acht Tracks von „Modernism: A new decade“. Und die sind so schlecht nicht: Man hört, wie Weller House (oder besser gesagt: Garage House) als das interpretiert und performed, was er ist – als eine Art von deepem soul im Zeitalter von Drumcomputern und Sequencern: R & B für die E-Generation.

Diese kleine Fußnote zur Geschichtsschreibung von House ist vor allem deshalb so wichtig, weil sie beweist: für TSC als Vehikel des Produzenten Paul Weller war vor allem eines essentiell: die umwandelnde Rezeptionsarbeit des manischen Hörers Paul Weller. Was im Falle von House eher „zugeschaut – mitgebaut“-artig wirkt, das hatte Weller im Laufe der 80er mit allen erdenklichen Stilrichtungen perfektioniert: weil er aus dem eindimensionalen Gefängnis namens The Jam rauswollte. Weil er die Musik machen wollte, die er selbst am liebsten hörte: ein poppig Motown-artiges Stück wie die erste TSC-Single „Speak Like a Child“ hier, Kaffeehaus-Jazz à la „The Paris Match“ da; zeitlosen Pop („Long Hot Summer“) oder Modern Soul wie „It didn't matter“.

Aber TSC war nicht in erster Linie „Pro Pop“, sondern „Contra Rock“. Seinen ersten Auftritt nach dem Ende von The Jam hatte Weller zusammen mit Everything But The Girl – er sang zusammen mit Tracy Thorn Astrud Gilbertos und Carlos Jobims „The Girl from Ipanema“ und spielte Gitarre zu Cole Porters „Night and day“. Da paßt es perfekt, daß Weller verkündete, er habe sich Mick Talbot als Partner für sein Pop-Projekt zwar auch ausgesucht, weil er „der beste junge Jazz-Soul-Organist Englands“ war – aber vor allem, weil er „seinen Haß auf den Mythos Rock und die Rockkultur teilte“.

Statt schwitziger Authentizität war künstlich-stylischer Zitatpop angesagt: Es wurde inszeniert, was das Zeug hielt. Deshalb kann der geneigte Pop-Philologe in der neuen historisch-kritischen Gesamtausgabe nicht nur nachlesen und -hören, wo sich welcher Einfluß Bahn bricht und warum wann welches Riff geklaut wurde (in Sachen geistigen Eigentums hält es Weller mit Brecht): Beim Schmökern in dem liebevoll gestalteten 112seitigen Booklet offenbaren sich auf Fotos und Platten-Covern nochmal die Style-Obsessionen des Mods Weller – da findet man z.B. die Blaupause für die Oasis- Plattencover: Überbordende, zum Bersten mit Verweisen vollgepfropfte Fotoarrangements – von der Gaggia-Kaffeemaschine über Plattencover bis zur Rickenbacker. Für die erste Fotosession schipperten Weller und Talbot über den Ärmelkanal extra nach Boulogne. Es war die Zeit, wo nicht nur der Legende nach die Farbe der Socken mindestens genauso wichtig war wie die nächste Single.

Wie der Zufall es will, hält auch der Solokünstler Paul Weller mit einem „Best of“-Album im Moment Rückschau. Trotz seiner vollmundigen Ankündigung von 1986, „eher himalayenische Querflöte zu spielen als noch mal Rock zu machen“, sind Weller und seine Gitarre wieder die dicksten Freunde geworden. Von Pop und Style will er seitdem absolut nichts mehr wissen.

Balladesk bis krachend rockig geht's demnach auf „Modern Classics“ zu: Hier findet sich neben Wellers sämtlichen Solo-Singles auch ein neuer Song, dessen Titel hoffentlich bald Programm ist: „Brand new start“. Denn nach seinem bravourösen Comeback (zuvor hatte Weller zwei Jahre nach TSC damit verbracht, seinem Sohn bei der Menschwerdung zuzuschauen, fand er schön, aber unbefriedigend; und bei zahllosen Plattenfirmen mit Demotapes Klinken putzen zu gehen, fand er demütigend, aber eine wichtige Erfahrung), fallen in letzter Zeit im Zusammenhang mit seinen Songs und Platten immer wieder recht unangenehme Begriffe wie Bon Jovi, Gegniedel oder Dire Straits ... oder um es mit einem Zitat aus Rainald Goetz‘ Internet-Tagebuch zum letzten Album „Heavy Soul“ zu sagen: „Die IDEE Paul Weller finde ich so toll, also die Gerüchte, Geschichten, Fotos, sogar immer noch den Style, die ganze ewige Fortsetzungsgeschichte – bloß die MUSIK nervt so brutal.“

Vielleicht sollte Weller mal wieder ganz tief in längst versunkenen Abteilungen seiner Plattensammlung forschen – und sich und seinen Sound neu erfinden. So wie vor seiner Solokarriere und vor The Style Council. Georg Hermens

The Style Council: „The Complete Adventures of ...“ (Polydor/5-CD) Paul Weller: Modern Classics (Mercury); Tour: 30.11. Köln, 2.12. Berlin, 3.12. Hamburg

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